Roberto Ciulli und das Theater Mülheim an der Ruhr machen bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen Woody Allens Stück „Tod“ zunächst zu einem (Alb-)Traumspiel. Doch die Schatten lassen sich nicht lange hinter der Wand halten. Sie dringen in Kleimans Schlafzimmer ein, sprühen Gaffiti an die Wand und nehmen sein Bett komplett auseinander. Der Ton ist aggressiv, es wird wichtigtuerisch über Funk kommuniziert. Die Brandstifter mit Hoodies und kurzen Jacken zwingen den verdatterten Biedermann, eine Rolle in ihrem Lynchjagd-Plan zu übernehmen.
Woody Allens tempo- und pointenreiche Parabel nimmt nicht nur den brutalen Selbstermächtigungstraum des Bürgertums aufs Korn, der von Kleinman mit pragmatischen Kommentaren aufspießt wird. Sie macht sich auch über dessen Willen zur Einordnung lustig („Ich will mich da auf nichts einlassen. Ich will nur wissen, was ich zu tun hab‘.“). Roberto Ciulli jazzt diese leichte Parabel mit Tiefgang zur verrätselten Etüde auf. Da werden die Pointen unterspielt, was die Rolle des Humors als Konzept bei Allen ignoriert. Es geht dabei schließlich um weit mehr, als das Generieren von Lachern. Der Witz, dass die im temporären Befriedigungsgeschäft tätige Prostituierte (Petra van der Beek in einer Doppelrolle) plötzlich tänzerisch delirierend über die Ewigkeit im Weltall schwadroniert, bevor sie mit Kleinman eine schnelle Nummer durchzieht, wird mit metaphysischer Schwere belastet. Selbstverständlich besitzen Kleinmans Sätze „Kann man einen Menschen wirklich kennen?“ oder „Ich höre Schritte hinter mir, seit ich acht Jahre alt bin“ vor dem Hintergrund von Rassismus und Antisemitismus Gewicht, das bei Allen jedoch immer mit der Komik der Situation gekreuzt werden. Bei Ciulli dagegen lauert hinter jedem Satz ein Endspiel. Der Abend schleppt sich schwerfällig dahin, die Dialoge werden ausgestellt wie Preziosen.
Die Inszenierung lässt es sich auch nicht nehmen, immer wieder Parallelen zum Film zu ziehen. In Klaus Herzogs Musik genauso wie im Einsatz von Zeichen wie der Diva, dem ballspielenden Mädchen, dem Trenchcoat oder dem Schlussbild, wenn der Held im Bett neben einer blutüberströmten toten Frau liegt. Welche Funktion diese Verweise neben der Überlagerung von Traum, filmischer Realität und Wirklichkeit haben könnten, bleibt allerdings unklar. Ist die Bürgerwehr nur eine Illusion? Führt der Weg wirklich von Caligari zu Hitler? Platt wird es schließlich, wenn Kleinman erwartungsgemäß selbst in die Schusslinie der Bürgerwehr gerät. Hatte die übereifrige Rotte zuvor schon Haare aus seinem Kamm entnommen, kommt jetzt mit dem wahnsinnigen Telepath Spiro, der Verdächtige erschnüffeln kann, eine Art olfaktorisches Pendant zu Frischs „Judenschauer“ in „Andorra“ ins Spiel. Roberto Ciulli tritt dazu als Adolf Hitler der SA-Zeit mit kurzen Lederhosen und Braunhemd auf, der vor einer mondänen Diva (Simone Thoma) kuscht und sich den Bauch kraulen lässt: Jeder Nazi ist sich sein eigener Schäferhund. Bei Woody Allen stirbt Kleinman am Ende von Mörderhand und murmelt die Sätze „Oh… oh… ugggmmmfff“ – dem ist an diesem Abend nichts hinzufügen.