Vor gut zwei Wochen ist Volker Hagedorns gewichtiges und mitreißend geschriebenes Buch „Flammen – Eine europäische Musikerzählung“ erschienen. Der vielsagende Titel bezieht sich auf eine frühe Kammeroper von Franz Schreker, denn sowohl dieses Werk, aber auch das Schaffen Schrekers insgesamt gelten dem Autor als exemplarisch für die Zeit vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Für Hagedorn wiegen diese Jahre für gesellschaftspolitische und künstlerische Entwicklungen schwerer als die stets verklärten „Roaring Twenties“. Denn längst schon rüttelten die Einsichten der Psychoanalyse an alten Gewissheiten und rumorte es in der Kunst zwischen Vergangenheitsbewältigung und Aufbruchsstimmung, überreifer Spätromantik und Ernüchterung.
In diese Vermutung, dass die Zeiten bereits vor den 1920er Jahren mehr als wild waren, fügt sich auch Franz Schrekers in den späten 1910er Jahren entstandene irrlichternde Oper „Der Schatzgräber“, die nun die Deutsche Oper Berlin in der verdichtenden Regie von Christof Loy und unter der souveränen Stabführung von Marc Abrecht mit einem famosen Cast glanzvoll aus der Versenkung holt.
Eine weitere Ausgrabung der Deutschen Oper
Die stürmisch gefeierte Aufführung ist Teil der verdienstvollen Bemühungen des Hauses an der Bismarckstraße, wenig bekannte Opern des beginnenden 20. Jahrhunderts wieder auszugraben: Loy inszenierte dort bereits Erich Wolfgang Korngolds „Das Wunder der Heliane“ und Riccardo Zandonais „Francesca da Rimini“. Nun also Schrekers „Der Schatzgräber“, uraufgeführt 1920 in Frankfurt und allein in den nächsten fünf Jahren an nahezu 50 verschiedenen Häusern aufgeführt. Doch dann verdammte das Aufführungsverbot der Nationalsozialisten das Werk ins Vergessen, auch die in den 1980er Jahren einsetzende Schreker-Renaissance sparte den „Schatzgräber“ bislang aus.
Die Geschichte ist aberwitzig, verkleidet als Märchenstoff geht es um die Gier nach Gold als Chiffre für die Suche nach Glück, Anerkennung und Identität. Zudem geht es um die Rolle der Kunst als magisches Mittel allumfassender Erfüllung und Beglückung und – nicht zuletzt – um fiebernde Männerfantasien. Außerdem arbeitet Schreker sich mit manischer Ausdauer am Übervater Wagner ab, und das nicht nur in der üppig wuchernden Partitur inklusive „Tristan“-Zitaten, sondern auch im vor Verweisen überquellenden, selbst verfassten Textbuch: Da erinnert ein Frageverbot an „Lohengrin“, die Hauptfiguren „Els“ und „Elis“ weisen auf Elsa hin, die güldenen Schätze, die Kraft geben und nehmen, spielen auf den „Ring“ an und da wird auch ein Weibchen „sich erkiest“. Aber auch der „Ilsenstein“ kommt vor, an dem in Humperdincks „Hänsel und Gretel“ die Hexe haust, und Dvoraks Nixenmusik aus „Rusalka“ wetterleuchtet durch die Partitur.