Eine weitere Ausgrabung der Deutschen Oper
Die stürmisch gefeierte Aufführung ist Teil der verdienstvollen Bemühungen des Hauses an der Bismarckstraße, wenig bekannte Opern des beginnenden 20. Jahrhunderts wieder auszugraben: Loy inszenierte dort bereits Erich Wolfgang Korngolds „Das Wunder der Heliane“ und Riccardo Zandonais „Francesca da Rimini“. Nun also Schrekers „Der Schatzgräber“, uraufgeführt 1920 in Frankfurt und allein in den nächsten fünf Jahren an nahezu 50 verschiedenen Häusern aufgeführt. Doch dann verdammte das Aufführungsverbot der Nationalsozialisten das Werk ins Vergessen, auch die in den 1980er Jahren einsetzende Schreker-Renaissance sparte den „Schatzgräber“ bislang aus.
Die Geschichte ist aberwitzig, verkleidet als Märchenstoff geht es um die Gier nach Gold als Chiffre für die Suche nach Glück, Anerkennung und Identität. Zudem geht es um die Rolle der Kunst als magisches Mittel allumfassender Erfüllung und Beglückung und – nicht zuletzt – um fiebernde Männerfantasien. Außerdem arbeitet Schreker sich mit manischer Ausdauer am Übervater Wagner ab, und das nicht nur in der üppig wuchernden Partitur inklusive „Tristan“-Zitaten, sondern auch im vor Verweisen überquellenden, selbst verfassten Textbuch: Da erinnert ein Frageverbot an „Lohengrin“, die Hauptfiguren „Els“ und „Elis“ weisen auf Elsa hin, die güldenen Schätze, die Kraft geben und nehmen, spielen auf den „Ring“ an und da wird auch ein Weibchen „sich erkiest“. Aber auch der „Ilsenstein“ kommt vor, an dem in Humperdincks „Hänsel und Gretel“ die Hexe haust, und Dvoraks Nixenmusik aus „Rusalka“ wetterleuchtet durch die Partitur.
Christof Loy und seine schwierigen Frauenfiguren
Die schillernde weibliche Hauptfigur Els ist eine von den schwierigen, ja monströsen Frauen, für die Regisseur Christof Loy ein ausgeprägtes Faible hat: Die mutterlos aufgewachsene Kneipentochter schickt ihre Liebhaber aus, um den Schmuck der Königin zu stehlen und lässt sie von einem ihr ebenfalls verfallenen Freier ermorden. Der Titelheld Elis dagegen ist fahrender Sänger, seine magische Laute spürt zudem Gold und Edelsteine auf. Damit wird er für Els zum Objekt maximaler Begierde und zugleich zur Gefahr. Außerdem treten auf ein umtriebiger Narr, viel Begleitpersonal, Hofschranzen, der König und die stumm bleibende Königin.
Christof Loy und sein Bühnenbildner Johannes Leiacker holen die Handlung aus dem Fantasie-Mittelalter ins 20. Jahrhundert: Ein schwarzer Marmor-Saal fungiert als pompöser Einheitsraum, der atmosphärisch Hitlers Reichskanzlei nachspürt, Barbara Drosihns Kostüme verschreiben dem männlichen Personal überwiegend Uniformen und Schaftstiefel, die Bediensteten passen dagegen eher in die 1950er Jahre, auch die zunächst harmlos wirkende Els mit bravem Kellnerinnen-Schürzchen. Die im Libretto ständig wechselnden Schauplätze werden ignoriert, der bedrückende Marmorsaal bleibt alleiniger Schauplatz, was das Geschehen abstrahiert, ins Innere eines kollektiven Unbewussten verlegt, aber dessen Zumutungen zugleich auch ästhetisch glättet. Loy weiß sein Personal zu führen, virtuos baut er die Szenen, verdichtet sie, komponiert elegante Tableaus und erweist sich einmal mehr als Meister des Timings.
Musikalische Kraftentfaltung unter Marc Albrecht
Das ist alles höchst ansehnlich, überrascht aber auch wenig und bleibt den Abgründen des Stoffs – und Schrekers explosiven Klangentladungen – ein wenig die Extreme schuldig. Marc Albrecht im Graben weiß den ungestüm aufblühenden Klängen mit kluger Bändigung zu begegnen, ohne ihre Sinnlichkeit und Wucht auszuhungern. Er setzt vielmehr auf Transparenz bei vitalster Kraftentfaltung, spürt den oft auch höchst delikaten Momenten nach und entfesselt eine ungeahnte Vielfalt von Klängen und Aromen. Das Orchester der Deutschen Oper sitzt auf der Stuhlkante und stellt seine überragende Kompetenz in Sachen Spätromantik unter Beweis. Das Sängerensemble ist hervorragend besetzt: Elisabeth Strid singt die mörderische Partie der Els konditionsstark, sicher und mit wackerer, bisweilen etwas klirrender Präsenz in der Höhe, Daniel Johansson als Elis arbeitet sich tapfer und – wie Strid – eine Spur zu sympathisch durch seine Mount-Everest-Tenorpartie in der Titelrolle, herausragend aus dem Ensemble bleibt daneben vor allem Michael Laurenz‘ enorm textverständlicher Narr im Gedächtnis. Großer Jubel.