Foto: Alexei Ratmaskys quellenkritische "Paquita" -Rekonstruktion für das Bayerische Staatsballett. Szene mit Schülern der Ballett-Akademie © Wilfried Hösl
Text:Vesna Mlakar, am 15. Dezember 2014
Tanzkunst – geschickt arrangiert in üppigem Rahmen. Eine Zeitreise an den Beginn des 19. Jahrhunderts voll von französisch-spanischem Lokalkolorit inbegriffen. Das ist Münchens neueste Ballettklassiker-Rekonstruktion. Aber reicht das schon für ein „Best of“ des Meisterchoreografen Marius Petipa? „Paquita“ schwelgt in melodramatischen Spielszenen. Gefühle, Erinnerungen und Pläne werden in vorgegebenen Gesten offengelegt – von Indigo (Cyril Pierre: rüde-aktionistisch als Anführer der Zigeuner), Lucien (französischer Grafen- und Kommandantensohn; Tigran Mikayelyan mimt ihn von Liebe total hingerissen) und Paquita (unter den sechs Probenbesetzungen bekam Daria Sukhorukova den Premieren-Zuschlag).
Diese Ganzkörper-Dialoge sind hübsch anzusehen und machen dabei die Hälfte des gesamten Abends aus. Wirklich prickelnd sind sie heutzutage trotz Alexei Ratmanskys Wiedereinstudierungseifer nicht mehr. Zu knapp und intrigenselig wirr wirkt die Geschichte. Absolut verständlich deshalb, dass seit 1923 nur noch Ausschnitte des Werks zur Aufführung kamen. Unseren Protagonisten erleichtert ein dramaturgischer Coup die Arbeit: schriftliche Infos zum Inhalt, vor jedem Akt auf den Vorhanghimmel einer alten Stadtansicht von Saragossa projiziert.
Das tanzgeschichtlich ehrgeizige Bayerische Staatsballett präsentierte am Vorabend des 3. Advents im Nationaltheater sozusagen ein restauriertes Bild der St. Petersburger Petipa-Fassung: mit viel Recherchepower, schlichten, atmosphärisch starken Kulissen und prachtvollen Kostümen (Ausstattung: Jérome Kaplan). Ratmansky, selbst Choreograf von Format, hatte sich für diese Produktion euphorisch in den Dienst des bewunderten Vorgängers gestellt.
Vor über 100 Jahren war „Paquita“ unterhaltsame, zaristische Kunst. Auf ein Solo Luciens wartet man bis zum Schluss. Hier wäre ein Eingreifen durch Ratmansky wünschenswert gewesen. Dennoch steht außer Frage: Bravourös wusste der Südfranzose Petipa vor allem die Ballerinen mit exotischen Attributen wie Tamburin, Kastagnetten und roten Manteltüchern zu versehen. Letztere werden übrigens von als Jungs verkleideten Mädchen in traditioneller Travestie geschwungen. Zudem verstand es der „Vater des klassischen Balletts“, interpretatorischen Charme, grazile Leichtigkeit, virtuose Wendigkeit und delikate Fußarbeit auf Spitze (hierin brilliert Daria Sukhorukova, gefolgt von Katherina Markowskaja im Pas de trois mit Javier Amo und Mai Kono) tanzend in Szene zu setzen.
In schlanken Reihen oder sich kreuzenden Diagonalen, zu zweit oder in Gruppen zu sechst oder acht bis hin zu raumfüllenden Defilees (die Kindermazurka ist ein Hit des berühmten finalen Grand Pas) tritt das Ensemble elegant trippelnd und anmutig springend auf. Exquisit geschulte Rassepferde? – Solche Gedanken können einem durch den Kopf schießen… Da müssen sich die Münchner Tänzerinnen und Tänzer ranhalten: Ein krummer Arm, schon ist die schöne Linie futsch. Viele Chancen zum Wiedergutmachen gibt es in diesem Stück nicht – dafür Klassiker mit mehr Bewegungs- und inhaltlichem Potenzial allemal.