Die hier sitzen, schauen auf eine imposante Kulisse: Spielort ist die Naumburger Marien-Magdalenen-Kirche. Die Bestuhlung bilden Kirchenbänke, den Bühnenhintergrund eine weiße Kanzel mit Barockschmuck und Muschelnischen. Davor ist ein schwarze Podest aufgebaut. Ein Kanapee und ein Paravent deuten das Wohnzimmer an, die Tür zur Sakristei den Zugang zu Gregor Samsas Zimmer. Zu Beginn ist ein Schlafender auf der Bühne gebettet – doch nicht er regt sich, sondern ein überdrehter Handelsreisender in glänzend rotem Anzug tritt zu Popmusik auf. Er preist seine Waren erst dem Publikum links im Kirchenschiff, dann denen rechts, schließlich noch einmal allen von der Bühne aus. Er wiederholt nicht einfach seinen Text, sondern wird schneller, ungenauer, lässt in überzogener Gestik und gewollter Präsenz nach. Das setzt den Takt: Der überarbeite, ausgelaugte Gregor Samsa zeigt sich noch einmal vor seiner Verwandlung und streut eine Prise Kapitalismuskritik in seinen Auftritt. Seine Anspielung auf die „Überfüssigen“ ist sicher nicht zufällig, sondern von gleichnamiger politischer Aktionsgruppe inspiriert. Doch Kraft zum zivilen Ungehorsam hat Samsa nicht. Er kann sich nur körperlich entziehen.
Metamorphose ohne Kostüm
Mit dem nächsten Morgenanbruch vollzieht sich seine Metamorphose zum Insekt. Vater und Schwester treten auf, der Prokurist wirft Samsa aus der Firma. Die Beziehung in der Familie – wohl ohnehin nicht die beste – verwandelt sich ebenfalls. Zuerst sorgt man sich um den Alleinverdiener, der nichts mehr verdient. Schließlich überwiegen Wut und Unbehagen auf und am Käfergewordenen: Er wird in den Keller verbannt. Während die Schwester um den neuen Untermieter buhlt, fällt Samsa immer mehr in sich zusammen, haucht schließlich in einem guten Schlussmonolog sein Leben aus. Antonio Gerolamo Fancellu gelingt es, seinen Verwandelten allein durch körperliche Ausdruckskraft, durch unnatürliche Haltungen und Verzerrungen zu geben. Er kommt ohne Verkleidung oder Kaschierung aus, was seine Figur physisch anschaulich macht.
Zwischen dieser Klammer aus eindrucksvollen Samsa-Auftritten passiert einiges, nicht alles will passen. Vater – solide: Ireneusz Rosinksi – und Schwester legen eine übersteigerte Performance aufs Parkett, die gut zum angeschlagenen Ton der Farce passt. Als Schwester Grete Samsa überzeugt Selena Bakalios, die pointiert, manchmal überdeutlich in Wort, Mimik und Gestik artikuliert, was sich aber in den absurden Anschein fügt. Nur halten beide die Spannung nicht immer: Besonders als der neue, geldpotente Untermieter einzieht, der Grete Samsa anbaggert und sie sich an ihn ranwirft, wird die Szenerie zur Schmiere. Da verliert Bakalios an Strahlkraft und Genauigkeit. Hier geschieht die Verwandlung einer geschickt zugespitzten Inszenierung mit Mut zum Fremdtext in unrund laufendes, überbetontes Volkstheater ohne Botschaft. Was sich dann im überflüssigen Epilog zeigt, wo die neue Zweckfamilie mit den Hüften kreisend zum Säusel-Hit tänzelt.