Foto: Szene mit Sascha Tuxhorn (Mr. Jay) und dem Ensemble © Felix Grünschloß
Text:Eckehard Uhlig, am 26. November 2016
Ist es Mr.Jay, der smarte, gottähnlich agierende Regisseur im weißen Outfit (Sascha Tuxhorn), der gleich am ersten Probentag die denkwürdige Einsicht verkündet – oder doch sein übereifriger Assistent mit dem anspielungsreichen Namen Goldberg (Jens Koch)? Unser Spiel ist noch „nicht gerade das, was die Zuschauer von den Sitzen reißt“, so die Motivationshilfe für die Protagonisten. Immerhin, das Premieren-Publikum applaudierte anhaltend und schien begeistert von Stanley Waldens Musical „Die Goldberg-Variationen“ (nach George Taboris gleichnamigem Stück), das in Karlsruhe uraufgeführt wurde.
Witz und Klamauk, Blödelei und Tiefsinn liegen in dieser Produktion, die eine vermeintlich mehrfach scheiternde Theaterprobe als Musical präsentiert, dicht beieinander. Inhalt des geprobten Spektakels ist eine bissige Parodie auf die biblische Schöpfungsgeschichte und die Christus-Passion, was – eben wegen des Probencharakters – Pointen und Gags wie am Fließband kreiert. Christian Breys Inszenierung überdehnt allerdings den Spaß: Wenn zum Beispiel Regieassistent Goldberg im Skript eine Szene sucht und nach endlosem Blättern, das gefühlte zehn Minuten dauert, in denen nichts passiert, sein Textbuch umdreht und mit Aha-Effekt die Stelle endlich findet, ist das kein lustiger Lacher, sondern langweilig. Allerhand Ausstattungsscherze (Bühne und Kostüme Anette Hachmann) verstärken Ulk und Klamauk. Da sind auch chorisch singende Revue-Girls, die in einem Musical nicht fehlen dürfen. Sie tanzen in glitzernden Goldfädchen-Kostümen mit erotisch flunkerndem Charme (Choreografie Doris Marlis).
Das Paradies ist eine von irrwitziger Flora bestückte und vielfältiger Fauna bevölkerte, wolkig-lilabläulich schimmernde Landschaft. Im Zentrum liegt ein überdimensionierter roter, aufgeklappter Apfel, in dem sich Eva (Florentine Krafft) und Adam (Sven Daniel Bühler) nicht nackt, sondern Feigenblatt-geschmückt samt der Verführer-Schlange (Meik van Severen) vergnügen. Der Hit ist allerdings die Kreuzigungsszene. Golgatha wird – in Anspielung auf den Titel des Stücks – zum Berg mit drei Marter-Kreuzen, die auf zehn goldenen Stufen zu erklimmen sind. Rechts und links hängen komisch schreiende Kriminelle (Jannek Petri und Meik van Severen). Am Kreuz in der Mitte Goldberg, der sich im Verlauf des Stücks als ausgezeichnete Rollenbesetzung entpuppt, gut singen, sprechen und sogar tanzen kann. Nun vertritt er den Christus-Darsteller und mimt in üppig nackter Leibesfülle den Leidenden – ein makaberer, ziemlich bitterer Scherz, der von zwei Frauen kommentiert wird. Die Gesänge der malerisch ausstaffierten Mater Dolorosa (Juliane Bischoff) und der Maria Magdalena (Mona Weiblen) sind durchdringend und traurig schön.
Musikeinspielungen hatte schon Tabori vorgegeben – natürlich von Johann Sebastian Bach, der die 30 Variationen für seinen Schüler Johann Theophilus Goldberg schrieb, aber auch die „Carmen“-Ouvertüre und sogar „Hell’s Angels-Musik“ in der 9.Szene. Die Musical-Fassung Waldens bietet zusätzlich englischsprachige Songs, steuert Geräuschkulissen bei und sorgt mit Blues-, Soul- und Rock-Elementen für einen wirkungsmächtigen Sound, der allerdings im Kleinen Haus des Badi-schen Staatstheaters mehrfach übersteuert wird, so dass nur noch vokaler und instrumentaler Lärm zu hören sind. Dafür können die Sänger und die von Clemens Rynkowski schwungvoll geleitete sechsköpfige Band nichts.
Irgendwann wird plakativ auf eine Bühnenwand Nietzsches nihilistisches Diktum projiziert: „Gott ist tot“. Der verblüffende Widerspruch lautet: „Nietzsche ist tot“. Ein Augenblick, der „Die Goldberg-Variationen“ mit komödiantischem Ernst akzentuiert.