Foto: Regensburger Ballett-Ensemble in "Mozart Mozart" © Bettina Stöß
Text:Vesna Mlakar, am 1. Mai 2022
Georg Reischl versteht sich bestens darauf, es auf der Bühne menscheln zu lassen. Immer wieder spielt er thematisch genau damit. So auch in seinem Teil von „Mozart Mozart“ am Theater Regensburg. Es ist sein letzter Premierenabend als Regensburger Ballettchef – und einer, der ganz von der Musik des Komponisten im Titel getragen wird.
Das Philharmonische Orchester Regensburg begleitet die Tänzer live. Eine Herausforderung auch für den 30-jährigen Mailänder Arturo Del Bo am Pult, der zeitgleich mit Reischl als Solo-Repetitor mit Dirigierverpflichtung in der oberpfälzischen Bezirkshauptstadt anfing. Bei den kommenden Aufführungen lässt sich die virtuose Selbstverständlichkeit, die aus dem Graben erklingt, gewiss noch ein wenig steigern. Vor allem die Akzentsetzungen im Zusammenspiel von Musik und Tanz im ersten, choreografisch auf Mozarts Streichquartett Nr. 3 in C-Dur von Luca Signoretti verantworteten Teil, werden dann an Leichtigkeit und Prägnanz gewinnen.
Mozarts Leben und Musik
An Ideen fehlt es dem in Pesaro geborenen Signoretti nicht. Noch bevor man eine Note von Mozart zu hören bekommt, fliegen dem Publikum biografische Fakten um die Ohren. Vor dem Vorhang: zwei Tänzer, eine Frau – Mozart hat schließlich viele Gesichter. Eines davon ist Laureen Olivia Drexler. Sie ist eine Tänzerin, die auch toll – und vor allem unheimlich schnell – sprechen kann.
Solch ein Intro mit ihren manierierten Übertreibungen hat Showqualität. Danach folgen laut Programmheft vier choreografische Kapitel, in denen Signoretti handwerklich sicher wichtige Komponenten aus Mozarts Leben Revue passieren lassen will: das viele Reisen, die Liebe, den Gout zum Feiern und was das künstlerische Genie innerlich bewegt haben mag. Das Ensemble raschelt und hantiert dazu immer wieder mit Notenblättern. Zu Komplexes oder nur Plakatives vermeidet der Choreograf aber zum Glück.
Dank der Partiturseiten als naheliegendem Requisit lassen sich Gruppenformationen hübsch verwandeln: zu welligen Schaumkronen, der Figur eines fliegenden Tausendfüßlers oder einem Berg mit Reißverschluss oder Zähnen, die nach außen geklappt wie Fähnchen flattern. Dazwischen werden immer wieder einzelne Paare, die unterschiedlich miteinander umgehen, ins Blickfeld gerückt. Hier und da unterbricht den Duktus ein laut quasselndes Frauengrüppchen. Am Schluss übernehmen dann die Noten selbst die Bühne.
Letztlich gipfelt Signorettis Mozart-Vertanzung somit recht harmlos in einem fast rein visuellen Effekt: Schwarz auf weiß, dann weiß auf schwarz – Notenprojektionen füllen den Raum (Ausstattung: Natascha von Steiger). Findig dabei ist das Hin- und Hertragen von Kartons in riesigem Smartphone-Format. Der Eindruck entsteht, dass man sich am Bildschirm durch die notierte Musik scrollt. Außerdem kommen und gehen dahinter Tänzer und bauen sich in Windeseile zu eingefrorenen Action-Tableaus auf. Da grüble, wer wolle. Die Künstler jedenfalls sind mit erkennbar viel Spaß bei der Sache.
Freiheiten und Sonderbares
Nach der Pause gebärden sich Reischls elf Protagonisten zur Serenade Nr. 13 in G-Dur – Mozarts populärer „Kleiner Nachtmusik“ – zunächst geisterhaft. Ihre Gesichter leuchten wie Lampions. Die staubweißen Perücken auf ihren Köpfen sind zerzaust. Der Look ihrer offenen, zerrissenen, uneinheitlichen Klamotten zitiert cool-legere Feier-Mode der Gegenwart (Kostüme: Min Li). Lichtstreifen wirbeln durch die Luft, wenn die Tänzer ihre kleinen Handlampen wild um ihre Körper kreisen lassen.
Trunken torkeln die Gestalten durch einen nun farbig kuriosen Raum. Schemenhaft ist in nächtlicher Lichtstimmung der gigantische Würfel zu erkennen, den das Publikum bereits aus der vorausgegangenen Arbeit des italienischen Gastchoreografen kennt. Im Hintergrund prangt so etwas wie der Blick ins Salzburger Land des Panorama-Museums Salzburg. Rechts und links am Portal krümmen sich dazu passende, gemalte Baumkulissen. Bühnenbildnerin Natascha von Steiger hat hier eine Art Retro-Paradies geschaffen, das durch Drehbühnentechnik immer wieder auch selbst in Bewegung gerät.
Es ist der rechte Ort für Schäferstündchen an der frischen Luft und das introvertierte Schwofen in Serie – fernab städtischer Alltagshektik und Individualität beschränkenden Drucks. Die Perücken verschwinden, Persönlichkeiten kristallisieren sich heraus. Es wird taghell. Partytime, nur einfach völlig anders. Zurückhaltend ausgeflippt könnte man es nennen. Dem Choreografen geht es offenbar ums Prinzip Hoffnung.
Das Quasi-für-sich-Tanzen, das die Tänzer Rei Okunishi und Filippo Buonamassa ganz wunderbar einführen, zieht sich in unterschiedlichen Konstellationen durch das gesamte Stück – zusätzlich musikalisch noch durch Mozarts Sinfonie Nr. 40 in g-Moll grundiert. Einige Male blitzt in den aus der Zeit gefallenen Figuren etwas auf. Man könnte meinen, Mozart selbst schleicht auf Knien heran und rockt übers Parkett. Genau der Richtige für ein Solo ist Reischls jüngstes Ensemblemitglied: Bartłomiej Kowalczyk im aufgeknöpften rotglänzenden Blazer. Es scheint, als ob eine Idee vom Körper des Nachwuchstänzers Besitz ergreifen will, seine Finger jedoch vom Naschen noch zu klebrig-schmutzig dafür sind. Bewegungsmäßig setzt der generelle Schwung, der Mozarts Kompositionen innewohnt, dem zeitgenössischen Tanzvokabular ohnehin keine Grenzen. Da bestimmen mal die Schultern den körpereigenen Drive, mal wippen die Hüften frech im Takt.
Was die tänzerische Haltung betrifft, scheint Reischls Mozart-Stück durchweg von Sonderlingen getragen zu werden. Gruppenchoreografische Passagen bleiben dabei keineswegs außen vor. Auch hier dienen sie dazu, Gefühlsausbrüche aufzufangen sowie in Teams Gemeinsamkeiten und Halt zu finden. Den Abschied vom Publikum versüßt ein brillant geschauspielerter Epilog. „Aussi jetzt“, frotzelt Laureen Olivia Drexler im herrlichsten Austro-Dialekt und wedelt das Publikum dabei mit ihren Händen hinaus. „Wir müssen Strom sparen. Was das alles hier kostet.“ Zum Ende der aktuellen Kompanie fällt kein Wort. „Bapa, ich geh‘ heim“, sagt sie schließlich und winkt ein letztes Mal.
Krönender Einstieg und Abschied
Im November 2019 war „Juke Box Heroes“ – ein abendfüllender Publikumsreißer – Reischls erster durchschlagender Erfolg als neuer Chefchoreograf am Theater Regensburg. Nun hat Sebastian Ritschel – ab nächster Saison Intendant in Regensburg – dem schon wieder ein Ende gemacht. Um die Geschicke der Tanzsparte soll sich demnächst der Brasilianer Wagner Moreira kümmern. Erst seit der Spielzeit 2020/21 ist dieser unter Ritschel an den Landesbühnen Sachsen in Radebeul tätig.
Weil die Highlight-Produktion „Sand“ Ende Oktober 2020 lediglich ein einziges Mal gezeigt werden konnte, wurde zu Spielzeitbeginn 2021/22 zugunsten einer Wiederaufnahme des meisterhaften „Sand“ auf die sonst übliche Neukreation als Auftaktpremiere verzichtet. Und auch der Doppelabend „Mozart Mozart“ mit seiner um fast zwei Monate verschobenen Uraufführung war ursprünglich bereits im vergangenen Jahr geplant. Nun hält er das Publikum bei Laune und verbreitet eine friedfertige Stimmung bis hin zu zwischenmenschlichem Optimismus. Wie es für Reischl und die Tänzer weitergeht, deren Verträge jetzt auslaufen, steht in den Sternen. Mit Spannung darf erwartet werden, welchen ästhetischen Weg Moreira als neuer Spartenleiter in Regensburg einschlagen wird.