Ulrich K. Müller, Lisa Flachmeyer und Michael Ruchter in der Uraufführung von Oliver Klucks "Möglichkeiten der Punkbewegung" in Rostock.

Tut Wut gut?

Oliver Kluck: Punkbewegung

Theater:Volkstheater Rostock, Premiere:18.11.2011 (UA)Regie:Sonja Hilberger

Wutproduktion. So beschreibt Oliver Kluck den gesellschaftlichen Alltag. Und will mit seinem Stücken herausfordern, die Mit-mir-kann-ja-jeder-machen-was-er-will-Rolle abzulegen. In Berlin kündet er davon, in Hamburg, Weimar, demnächst auch in Wien. Vorab aber schenkt der auf Rügen geborene Dramatiker seiner mecklenburgisch-vorpommerschen Heimat eine Uraufführung. So könnte das Volkstheater Rostock zeigen, dass Wut an der Ostsee nicht nur mit Ausländerfeindlichkeit zu tun hat.

Ideale Einstimmung auf den Abend ermöglicht dem Kritiker die Anfahrt per Bahn. Abfahrt: 45 Minuten Verspätung. Reservierungen? Ach, die gelten nicht, wegen „Störungen im Betriebsablauf“ sei die Wagenfolge nur notdürftig zusammengestellt. Heißt: Es gibt nur noch Stehplätze. „Hier endet der Zug“, tönt es beim Zwischenhalt. Aber dieser IC sollte doch bis Rostock fahren? Ein Regionalexpress werde kommen … viel später steht er tatsächlich da, zugemüllt und überfüllt, wieder nur Stehplätze im Angebot. Statt drei Stunden Fahrt auf einem reservierten Sitzplatz – fünf Stunden lang wundgequetscht im Stehen. Entschuldigung, Entschädigung? „Keine Chance, das ist alles höhere Gewalt“, muffelt die Bahnservicefrau. „Die Bahn hatte ihre Kunden einmal mehr auf heimtückische Weise vorsätzlich und mit Hinterlist betrogen / die Reisenden waren keine Reisenden, sondern Wartende, die der Konzern nach belieben wie Idioten vorführte … und beim Verschwenden ihrer Lebenszeit beobachtet“. So tönt es einem dann in Rostock aus Klucks Stück entgegen: „Über die Möglichkeiten der Punkbewegung zur Gestaltung des regionalen Raumes“. Eine Art Versuch in Sachen Punktheater: aggressiv, bunt und laut gegen Bluff, Imponiergehabe und Schwindelei aufbegehren, Attacken versuchen gegen Autoritäten, Meinungsführer, Bevormunder und eben Monopolisten wie die Bahn. Eine Schaffnerin wird zitiert, auf die ein „echter Anschlag“ auf die Bahn „schon fast wie eine Erlösung“ wirken würde angesichts der Zustände in diesem Unternehmen. Weiter vorgeführt als Wutobjekt, teilweise im O-Ton, wird Stefan Aust, wie er die Marktmacht des Labels „Spiegel“ missbraucht. Lächerlich gemacht werden Politiker mit ihren Verlautbarungsphrasen, zynische TV-Moderatoren und schnöselige Reiche in ihrem Gähnen über alles, was sich nicht von Austern und Champagner ernährt.

Eine Wutschrift publizierte Oliver Kluck bereits vor der Uraufführung gegen das Vorwort im Spielzeitheft des Volkstheaters, in dem die Rostocker Kultursenatorin Liane Melzer (SPD) behauptet, Theater vemittele Bildung und Kreativität. Kluck schreibt, das Theater definiere sich vielmehr durch seine „Diskurskraft, die es in die Stadt hinausträgt … das Bereiststellen von Unruhe, Unordnung und Unsicherheit ist die tatsächliche Leistung des Theaters.“ Ob das mit dem aktuellen Stück gelingt? Immerhin wirken die Themen etwas angestaubt. DDR-Bürger fiebern im Chor dem Anschluss an die Welt entgegen, ein Stefan Aust beweihräuchert sich als Anwalt der stasi- und wendetraumatisierten Ostdeutschen, Punker besetzen Sylt, weil dortige Entscheidungsträger die Schöner-Leben-Insel für Schönes-Wochenende-Ticket-Nutzer unerreichbar machen wollen, um nicht länger von Billigtouristen gestört zu werden. Das alles war Anfang, Mitte der Neunziger. Klucks komponiert drumherum ein Gespinst aus den Medien abgelauschter Textfragmente, macht Stimmen hörbar voller Welt-, Kunst- und Medienhass, gibt aber keine Hinweise, wer welche Passage spricht, verweigert Plot und Regieanweisungen.

Diesen künstlerischen Freiraum nutzt Regisseurin Sonja Hilberger kaum. Sie bündelt Textpassagen zu Klischee-Figuren, inszeniert alles als Kabarett-Programm im Stile einer Talkshow-Parodie und ist dabei sehr um Witzverständlichkeit bemüht. Darsteller erklären sogar Fremdworte, die Kluck dem Textkonvolut eingeschrieben hat. Allgemeinverständlich wird so der Hass der Etablierten auf Punks genauso lustig dargeboten wie der Hass der Punks auf die Etablierten. Unangestrengt changierend und stets flachsend unterwegs ist das komödiantisch versierte Ensemble, agiert mal im Hallervorden-, mal im Krömer-, mal im Harald-Schmidt-Idiom. Zum Diskurs über Wutpotenziale aber kommt es nicht. Kluck liefert halt nur eine Ansammlung von Wutanlässen, die in Rostock nicht wütend machen, sondern schmunzellässig bestens unterhalten. Auch das ist allerdings Punktheater: Scheitern als Kunstform. Die Weigerung, vorhandenes künstlerisches Können auszustellen, statt dessen das vermeintlich Minderwertige betonen: bürgerliches Lachtheater.