Szene aus "Im Taumel des Zorns"

Nachts in der Krankenhausapotheke

Peer M. Ripberger: Im Taumel des Zorns

Theater:Zimmertheater Tübingen, Premiere:07.10.2023 (UA)Regie:Peer M. RipbergerKomponist(in):Konstantin Dupelius, Justus Wilcken

Das Zimmertheater Tübingen tritt in der neuen Saison mit einem faszinierenden Konzept an: Alle Premieren und Geschichten sollen miteinander verbunden sein. Nun feierte die erste Episode von „Im Taumel des Zorns“ seine Uraufführung – und machte vor allem Lust auf mehr.

Das ist schon ungewöhnlich, dass ein Theater seinen Gesamtspielplan unter dem Motto „7 Episoden, 5 Schauspieler*innen und eine wahre Begebenheit“ zentral anbietet. Fortsetzungsgeschichten gibt es inzwischen häufiger an Theaterhäusern, aber sie laufen nicht im Hauptspielplan, sondern nebenher. Ganz anders nun im ITZ, dem Institut für Theater Zukunftsforschung im Tübinger Zimmertheater. Peer Mia und Dieter Ripberger wagen es, alle Neuproduktionen dieser Spielzeit als Fortsetzungsserie anzubieten.

Autoren wie Peer Mia Ripberger, Leonie Lorena Wyss, Hannah Zufall oder Corinna Huber werden in Zusammenarbeit mit verschiedenen Regisseurinnen und Peer Mia Ripberger die künftigen Folgen gestalten. Umso gespannter war man nun auf die erste Episode von „Taumel des Zorns“, die mit „Himbeeren mögen keinen Krebs“ überschrieben ist. Der Titel lässt sich leicht lösen: Ove, der seinen Bundesfreiwilligendienst in einer Krankenhausapotheke ableistet, wird immer wieder auf seinen „Himbeerpopo“ angesprochen und Holle ist an unheilbaren Krebs erkrankt. Das hindert sie aber nicht daran, mit Drogen zu handeln. Zusammen mit Enno Stanke, fest mit Ove verbunden und verwandt mit Holle, wollen sie den „Giftschrank“ in der Krankenhausapotheke entleeren.

Theater über einen Überfall

In dieser ersten Episode wird Ove zum Erzähler. Schauspieler Morris Weckherlin führt Ove als burschikosen, staunenden jungen Mann vor, der auf keinen Fall eine kriminelle Karriere antreten möchte. Er hat sich überreden lassen, den Schlüssel für die Apotheke aus der Schublade zu stehlen. Und plötzlich treffen sie auf andere Leute. Dass Holle eine Pistole zieht, überfordert Ove.

In die Aktion von Holle, Enno (der von Cyril Hilfiker als ein besonnener Typ gespielt wird, der als Journalist stets auf die Suche nach der großen Geschichte ist) und Ove geraten auch Cecilia, der ehemaligen Leiterin der Apotheke, und die Angestellte Merit. Holle nimmt die beiden als Geisel, aber merkwürdigerweise fühlen sich beide überlegen: Als „Chor der Geisel“ bringen sie Holle in Schwierigkeiten. Zumal Ove und Enno mit dem Waffeneinsatz nicht einverstanden sind.

„Himbeeren mögen keinen Krebs“ ist die Exposition für die Geschichte von „Im Taumel des Zorns“: Hier werden die Fäden für künftige Handlungen gespannt. Die Motive sind klar: die unheilbar Krebskranke Holle (der Eva Lucia Grieser verhärmte, verbittert-aggressive Züge gibt) will leben. Sie treibt die beiden Männer der Wohngemeinschaft – Ove und Enno – vor sich her. Auf der Seite von Holle sind die Motive scheinbar klar. Aber was ist mit Cecilia und Merit? Warum brechen sie illegal in die Krankenhausapotheke ein? Und warum geben sich die Schauspielerinnen Lauretta van de Merwe als ehemalige Apothekenleiterin und Seraina Löschau als Merit so entspannt als Geiseln? Und wo ist der medizinische Skandal?

Eine Person mit Sturmmaske bedroht zwei andere Personen mit einer Pistole.

Mit hohem Tempo erzählt das Zimmertheater Tübingen eine Crime Story. Foto: Alexander Gonschior

 

Cliffhanger im Zimmertheater Tübingen

Peer Mia Ripberger, der nicht nur den Text zu „Himbeeren mögen keinen Krebs“ verfasst hat, sondern auch Regie führt, lässt dabei zu Beginn Ove vor der Bühne überhastet die Story erzählen. Dieser bricht ab, als er begreift, dass er für seine Geschichte einen anderen Einstieg braucht. Da flimmert dann erst einmal ein Video (Katarina Eckold) mit den Besetzungsnamen. Erst dann beginnt die eigentliche Geschichte als Rückblende, die das Ensemble mit hohem Tempo durchspielt. Ripberger versteht es, mit seinem Ensemble Spannungen aufzubauen, was er auch in einer starken Führung seines Schauspielensembles zeigt.

Es macht Spaß zuzuschauen – und lässt einen auf Grund der Offenheit am Schluss der ersten Episode unbefriedigt zurück: Man wird in dieser Aufführung süchtig gemacht für die folgenden Inszenierungen. Das Bühnenbild von Valentin Baumeister ist ein auf ein Podest gesetzter quadratischer Würfel, auf allen vier Seiten durch Streben dreigeteilt, nach unten und als Decke von einem Gittergerüst begrenzt. In der Mitte steht eine Art Turm mit einer Kachelstruktur, um den herum die Akteure auftreten. Dieses Bühnenbild, das in seiner Sterilität an Gefängnis wie Krankenhausraum erinnert, soll für alle sieben Episoden benutzt werden. In ihren Kostümen setzt Nicola Gördes ein an Yves Klein aufdrängendes Blau als Grundfarbe ein.

Die dezente Musik (Konstantin Dupelius/Justus Wilcken), die mit den Momenten einer Krimidramaturgie arbeitet, unterstützt die Spielerinnen und Spieler. Das Publikum hat einen Riesenspaß und wird sicherlich wiederkommen, weil es wissen möchte, wie die Geiselnahme ausgeht, was Cecelia und Merit des Nachts in der Krankenhausapotheke zu schaffen haben und, tja, welchen medizinischen Skandal es aufzudecken gilt? Oder, was den „Taumel des Zorns“ auslöst?