Foto: Catharina Kottmeier und Daniel Arthur Fischer in der Tschechow-Variation am Theater Baden-Baden. © Jochen Klenk
Text:Andreas Jüttner, am 9. Dezember 2013
Die Idee ist nicht ohne Reiz: Ein in Tschechows Dramen vernarrtes amerikanisches Professorenpaar hat seinen Kindern entsprechende Namen gegeben – und nun, mit Anfang bzw. Ende 50, sitzen Sonia und Vania so antriebslos in der US-Provinz herum wie Tschechows Personal gut 120 Jahre zuvor in der russischen Pampa. Die verhärmten Quasi-Geschwister (Sonia ist adoptiert) haben sich darin eingerichtet, darüber zu klagen, dass sie wegen der Pflege der kranken Eltern auf ein eigenes Leben verzichtet haben. Da bringt ein Besuch ihrer extrovertierten Schwester Mascha Unruhe in den drögen Alltag. Im Schlepptau hat die erfolgreiche Schauspielerin ihren deutlich jüngeren Liebhaber Spike, der seinerseits sehr schnell die hübsche junge Nachbarin Nina kennenlernt. Die ist eine Theaterenthusiastin, die Vania erstens „Onkel“ nennt und ihn zweitens dabei unterstützt, sein experimentelles Theaterstück im Familienkreis vorzutragen, so wie es die Nina in Tschechows „Möwe“ tut.
In einem Stück, das wie eine TV-Sitcom daherkommt, ergeben solche plakativ abgehakten Zutaten allerdings nicht „Tschechow light“, sondern, um es mit Coca-Cola-Sorten zu sagen, „Tschechow Zero“ – es erinnert irgendwie an das Original, ist aber ein künstliches Surrogat. Und der Europäischen Erstaufführung dieses Tony-Award-Gewinners („bestes neues Broadway-Stück 2013“, warum auch immer) in der Regie von Stefan Huber fehlt leider ein konsequenter Zugriff auf den trivialen Text. Richtig auf die Schippe zu nehmen traut man sich nur die offenkundigsten Dämlichkeiten, etwa die Vorsprechrolle des selbstgefälligen Schönlings Spike für eine banale Fernsehserie. Die Konflikte zwischen den älteren Figuren – beispielsweise Vanias und Sonias Zukunftsangst, falls Mascha das Haus verkauft – sollen hingegen wohl ernsthaft wirken, plätschern aber vor sich hin, als sei man nicht mal in einer Sitcom, sondern in einem betulichen ARD-Freitagabendfilm.
Nur einmal blitzt auf, was aus diesem zweieinhalbstündigen Abend hätte werden können: In einem großartigen Solo zeigt Catharina Kottmeier, wie ihre verhärmte Sonia am Morgen nach einer Kostümparty, bei der sie ausnahmsweise mal aus sich herausgegangen ist, von einem Mann angerufen wird und es gar nicht fassen kann, dass sich jemand für sie interessiert. Das ist so anrührend wie komisch – aber ein einsames Glanzlicht an einem Abend, dessen dramatischer Höhepunkt sich in einer langen Tirade des erbosten Vania (Berth Wesselmann) erschöpft: Erzürnt durch Spikes respektlose Handynutzung während des Stückvortrags entlädt sich Vanias Frust über die angebliche Bindungslosigkeit der Multimedia-Generation. So intensiv Wesselmann das spielt – der Ausbruch kommt inszenatorisch aus dem Nichts und bleibt inhaltlich folgenlos. Nicht nur hier vollzieht der Abend genau jene Ranschmeißerei, die Vania parteilichen TV-Sendern in den USA vorwirft: Der Zuschauer wird mit nichts behelligt, was er sich nicht eh schon selber denkt.