Um Joseph Beuys geht es eigentlich weniger. Auch wenn wir zunächst ein Remake von Beuys’ Aktion „I like America And America likes me“ sehen. Nein, die nun folgende und eigentliche Rahmenhandlung der deutschen Premiere von „Booty Looting“ vom belgischen Choreographen Wim Vandekeybus (aufgeführt von einer Gruppe von Darstellern, einem Musiker und einem Fotografen) ist eine Rekonstruktion, die Erinnerung an das Leben einer Frau namens Birgit Walter. Ja, genau, die zentrale Figur trägt den gleichen Namen wie die Schauspielerin, die sie verkörpert. Und damit wird die wichtigste Frage des Abends unmittelbar aufgeworfen: Was ist hier real, was nicht? Eine wilde und bisweilen ungestüme, aber dezidiert strukturierte Collage aus Choreographie, Schauspiel, Live-Fotografie (Elko Blijweert) und Live-Musik (Danny Willems) beginnt; immer wieder wird die Wahrnehmung zwischen Täuschung und Wahrheit hin- und hergelenkt. Die Fotoprojektionen vermitteln häufig ein ganz anderes und verfälschtes Bild der Handlung, die sich parallel abspielt. Betrachtet man wie im Stück die Vorstellung als gesetzt, dass Fotografien unsere Erinnerungen verändern, wird so eine gewollte Wahrnehmungsstörung erzeugt. Die Handlungsmelange fängt viele klassische Motive wie das der „Medea“ ein, die dann mal dekonstruktiv, mal impulsiv verhandelt werden. Manche Details erschließen sich dem Zuschauer nicht auf Anhieb, was man jedoch schnell wieder vergisst: Reichlich zackig ist das Tempo, gefühlt auch in den vermeintlich ruhigeren Passagen.
„Das ist doch alles eine Scheiße! Ihr seid 50 Jahre zu spät!“ ruft’s laut und empört aus dem Publikum, als selbiges, angestrahlt durch Scheinwerfer, auch mal mitmachen darf. Verlegenes Schmunzeln hier, Stirnrunzeln dort. Ganz unrecht hat dieser Zuschauer nicht, aber irgendwie… macht’s auch Spaß hier, denkt man im Stillen. Denn natürlich ist Wim Vandekeybus kein Naivling. Die Zwischenmoderationen, dominierend und überragend in der Hand von Jerry Killick, strotzen nur so vor Selbstironie. Und das ist hier das Erfreuliche: Der Humor ist gerade richtig dosiert.
Wim Vandekeybus mag nicht mehr der junge Wilde sein, der er mal war. Seine Performances aber polarisieren nach wie vor, sind beeindruckend und klug. Nicht zuletzt sind sie ein mahnendes Beispiel für das, was Köln entgehen würde, sollte der Tanz-Gastetat (ein eigenes Ensemble gibt es ja nicht mehr) der städtischen Bühnen tatsächlich gänzlich eingespart werden, was als Hiobsbotschaft seit letzter Woche im Raum steht. Nach ersten Protesten gibt es zwar einen Rettungsvorschlag, doch dieser sieht wesentlich weniger Geld für die Tanzgastspiele vor, als es bisher gab. Das alte Leid: Einsparungen. Dabei sind die Bühnen der Stadt Köln, auch gemäß ihrer eigenen Satzung: ein Drei-Sparten-Haus. Am 30. April entscheidet der Rat über die Zukunft der dritten Sparte.