Foto: Szene aus "Der Sturm" in Pforzheim. © Sabine Haymann
Text:Eckehard Uhlig, am 25. September 2012
Pforzheims Schauspieldirektor und Haus-Regisseur Murat Yeginer hat ein Faible für Klassiker, die den Humanitätsgedanken in ihr Zentrum rücken. Die vorige Spielzeit eröffnete am Stadttheater mit Lessings „Nathan der Weise“, die jetzige mit William Shakespeares letztem, vor gut 400 Jahren entstandenem Schauspiel „Der Sturm“ („Tempest“) – einem anspruchsvollen, weil vielschichtigen Stück.
Yeginer verzichtet in seiner Inszenierung auf monströse Titanic-Havarien und sonstige aktualisie-rende Regie-Sensationen. Der Plot wird in seinem angestammten Umfeld belassen. Auch ist die Spieldauer auf angenehme zwei Stunden gekürzt. Im stummen Vorspiel steigt Prospero (Jens Peter), der rechtmäßige Herzog von Mailand, den sein Bruder Antonio (Mathias Reiter) auf eine wüste Insel vertrieben hat, in eine Badewanne, um sich mit Schiffsmodellen zu vergnügen. Das Bad hat ihm sein dienstbarer Luftgeist Ariel (Meike Anne Stock) umständlich liebevoll zubereitet, damit der inzwischen wirkungsmächtige Insel-Zauberer, der malerisch wie Sindbad der Seefahrer ausstaffiert ist, die bevorstehende „Sturm“-Katastrophe spielerisch vorwegnehmen kann. Der von Prospero mit Rachegelüsten herbeigezauberte Schiffbruch spült nämlich seine Feinde, den Bruder und den mit diesem verbündeten König Alonso (Fredi Noel) samt begleitender Pistolero-Hofgesellschaft (Dario Krosely als „Sebastian“ und Holger Teßmann als „Gonzalo“) an seinen Insel-Strand, was im Flackerlicht einer stürmischen Nacht angedeutet wird.
Dann hebt sich der Gaze-Vorhang und gibt den Blick frei auf eine moderne Form der historischen Shakespeare-Spielstätte mit Hinter- und Vorderbühne, mit einer Oberbühne (der vom linken unteren bis zum rechten oberen Bühnenrand weit geschwungenen, raumbeherrschenden „Gangway to heaven“) und einer (über den Orchestergraben zu erreichenden) „Hölle“ (Bühne und Kostüme Jürgen Höth). Auf allen Spielebenen verknoten sich drei Handlungsstränge. Zum einen halten Prospero und Ariel die gestrandeten Havaristen mit ihren Zauberkünsten in Schach, wobei sich Meike Anna Stock mit leichtfüßig schwebender Tändelei, ruckeligem Schiefhals-Tick und einer in leisen wie lautstarken Passagen klar verständlichen Sprache als brillante Schauspielerin erweist, der die Krone des Abends gebührt. Zum zweiten sorgen Caliban (Markus Löchner), ein urwüchsig nackter und wilder Insel-Geist, sowie die zwei närrischen Trunkenbolde Trinculo (Roman Weltzien) und Stephano (Timo Beyerling) aus dem königlichen Gefolge für lustige Slapstick-Turbulenzen – Gesindel zwischen all dem auf der Bühne verstreuten Strandgut-Lumpentrödel. Und drittens setzen sich Prosperos dralle Tochter Miranda (Christine Schaller) und Alonsos lieblich Geige spielender Sohn Ferdinand (Peter Christoph Scholz) komödiantisch überdreht als liebestolles Paar in Szene.
Zielstrebig steuert die Inszenierung auf einen Triumph schlichter Menschlichkeit zu, die sich in der Möglichkeit manifestiert, verzeihende Milde walten zu lassen. Zwar fuchteln die Kontrahenten mit ihren Schießeisen herum, lassen den Schusswechsel nach einigen verbalen Attacken aber bleiben. Besonders zeigt sich Humanität in der naiven Liebe zweier Menschen, die aus den ursprünglich verfeindeten Lagern kommen. Ein Wunder, wie Miranda treuherzig bekennt, eine „schöne neue Welt“ (a „brave new world“), wie es im Skakespeare-Text heißt. Vielleicht das Vermächtnis des großen Dichters, seine Hoffnung und Utopie.