Foto: Szene mit Natalie Hünig und Thomas Fritz Jung © Ilja Mess
Text:Manfred Jahnke, am 25. März 2017
Es beginnt wie eine Lecture Performance, in der Wang spielerisch darüber doziert, dass die auf der Bühne gezeigten Geschichten alleine in den Köpfen der Zuschauer entstehen. Er versucht zugleich das Publikum zu seinem Komplizen zu machen. Und das wird zu einem wesentlichen Vorgang in der choreografischen Inszenierung von Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ durch Jo Fabian: Immer wieder reflektieren die Spieler auf der Bühne selbst den Theatervorgang bis hin zum postdramatischen Fake. Die Lecture leitet sich ab vom berühmten Schluss „Den Vorhang zu und alle Fragen offen“, die Theatralität von den Prinzipien des epischen Theaters. Auf eine kluge Weise werden hier Brechts Theoreme fortgeschrieben, ohne auf das wichtigste Prinzip von Jo Fabian zu verzichten: die Irritation.
Auf einer fast leeren Bühne, vorne stehen links und rechts Mikrofone, an der linken Seite sitzt der Musiker, wenn Material verwendet wird, dann vorwiegend aus Bambus, da hängen einmal drei lange Bambusstangen und einmal zwei aus dem Schnürboden. Wenn der Vorhang sich hebt, dann ist als Tabakladen ein Gerüst aus dem gleichen Material zu sehen. Auf den Seiten stehen je fünf Stühle, auf denen das Ensemble Platz nehmen kann, aber nicht muss. Da gibt es ein Kommen und Gehen, das nicht immer sinnfällig wirkt. Derart abstrakt erscheint der Bühnenraum. Auch bei den Kostümen (Bild und Kostüme: Jo Fabian) wird dem Publikum eine hohe Abstraktionskraft abverlangt, während bei den drei Göttern die Farbe Weiß vorherrscht (weiß bandagierte Gesichter, weiße Arztkittel) herrschen bei den Menschen von Sezuan die Farben Grau, Schwarz und Rot.
Wie häufig bei Fabian wird auch hier ein Text befragt, dessen Leerstellen abgeklopft und diese als großes Fragezeichen ausgestellt. Dazu passt, dass er eine frühe Fassung – die sogenannte „Opium“-Fassung – benutzt, die sich von der üblichen Druckfassung in drei Punkten von den Suhrkamp-Ausgaben unterscheidet. Die Familie, die den kleinen Laden der Shen Te besetzt, bringt nicht Tabakballen mit, sondern Opiumsäcke. Viele Nebenstränge entfallen, wie der Teppichhändler, dafür geht Shen Te zu einer Opiumhöhle, um Geld für den Flieger zu bekommen, wendet sich aber angewidert ab, als sie sieht, was das Rauschgift aus den Menschen macht (eine grandios choreografisch konzipierte Szene). Schließlich bleibt in dieser Fassung offen, ob Shen Te sich mit dem Flieger Sun aussöhnen kann.
Fabian arbeitet mit starken Bildern, die manchmal überdeutlich sind, wie, wenn sich Natalie Hünig als Shen Te in Shui Ta verwandelt und hierzu ein Herz herausreißt und wegwirft. Und zugleich der Tischler Lin To (André Rohde) als Gekreuzigter erscheint. Andere Bilder, vor allem, wenn sie in eine strenge Choreografie überführt werden, wirken sehr fein. Wie im Brechtschen Theater werden Überschriften auf das Bühnenportal projiziert, rechts und links sind kleine Tafeln, auf die der Text projiziert wird, nicht immer synchron mit dem, was auf der Bühne zu hören ist. Fabian nutzt diese aber auch, indem er Hünig nur Lippenbewegungen machen lässt und so das Publikum zwingt, den Text auf den Tafeln nachzulesen. Ähnlich verfährt auch die musikalische Umsetzung. James Douglas hat die Melodien von Dessau in eine percussionshafte Dramaturgie umgesetzt, die erneut Bambus zum Klangmaterial nimmt und das Ensemble, das an der musikalischen Umsetzung partizipiert, mit voran treibt. Dazu hat Fabian noch Songs von „Godmaschine“ , einer experimentiellen Rockband aus den 90er Jahren, für seine Choreografien ausgesucht.
Stärker als in anderen Inszenierungen spielt Wang in Konstanz eine zentrale Rolle als Vermittler zwischen der künstlichen Welt der Bühne und den Zuschauern. Thomas Fritz Jung spielt diese Rolle als humorvollen Charmeur mit großer Beweglichkeit. Wang und der Musiker sind sozusagen die Antreiber auf der Bühne, die das Ensemble voran peitschen, ein Ensemble, das sich von der klugen Regie Fabians überzeugen ließ und gemeinsam zu beeindruckenden Bildern aufläuft, als da sind: Katrin Huke, Laura Lippmann, Bettina Riebesel, Sylvana Schneider, Ralf Beckord, Axel Julius Fündeling, Andreas Haase, Sebastian Haase, Arlen Konietz und Axel Strothmann. Tolles Ensembletheater.