Foto: Oksana Volkova (Polina / Daphnis) und das Ensemble © Salzburger Festspiele / Ruth Walz
Text:Regine Müller, am 6. August 2018
Altmeister Hans Neuenfels inszeniert „Pique Dame“ bei den Salzburger Festspielen
Hans Neuenfels ist nicht nur als Regisseur immer wieder für Überraschungen gut. Auch als Akteur in seiner eigenen Berufs-Biografie-Inszenierung übertrifft er die meisten seiner Kolleginnen und Kollegen nach wie vor an Originalität und Konfliktfreude. Seine 2011 herausgekommene Autobiografie „Das Bastardbuch“ klang bereits abgeklärt und schien der Auftakt eines langen Abgangs zu sein. Im Frühling dieses Jahres gab es nun künstlerische Differenzen in der Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Christoph von Dohnanyi bei der Erarbeitung von Strauss’ „Salome“ für die Berliner Lindenoper, in deren Verlauf der Dirigent wenige Tage vor der Premiere hinwarf. Neuenfels ließ sich daraufhin bei einem Interview mit der Berliner Zeitung zu der Behauptung hinreißen, er mache ohnehin jetzt Schluss mit der Opernregie. So wurde seine Salzburger „Pique Dame“ vorab als seine letzte Regietat gehandelt, ein Vermächtnis an prominenter Stelle.
Doch dann kam der Rücktritt vom Rücktritt, kurz vor der Premiere in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung. Er macht also weiter, als nächstes steht eine Rameau-Oper an. Nach dem, was Neuenfels nun im Großen Festspielhaus an gedanklicher Frische und souveränem Handwerk für die als sperrig geltende „Pique Dame“ liefert, kann man heilfroh sein, dass die Galionsfigur des Regietheaters noch nicht aufs Altenteil wechselt.
Neuenfels siedelt das Geschehen im frühen 20. Jahrhundert an, Christian Schmidt hat ihm dafür einen ziemlich neutralen, schwarzen Raum gebaut, der nicht viel mehr als ein Rahmen mit komfortablen Durchgängen an der Seite ist. Ein Laufband in der Bühnenmitte sorgt für Bewegung ohne Bewegung und flüssigen Transport von Gegenständen aller Art.
Die Geschichte des mittellosen Hermann, der die mit dem reichen Fürsten Jelezki verlobte Lisa liebt und das fehlende Geld am Spieltisch gewinnen will, erzählt Neuenfels als Collage mit scharfen Kanten und Brüchen. Das radikal und unbedingt liebende Paar steht einer uniformen Masse Angepasster gegenüber. Das limitierte Gesten-Vokabular der Bürgersleut’ mechanisiert Neuenfels zu militärischer Zackigkeit, ihre Gebräuche und kleinen Freuden banalisiert er unbarmherzig. Reinhard von der Thannens Kostüme spitzen diese Gedanken grotesk zu, hängen Kanonenfutter-Nachwuchs produzierenden Müttern riesige Brüste um, stecken die Chorherren in lächerliche Schwimmanzüge und stopfen die ausladenden Röcke der Chordamen mit bizarr verschachtelten Hinterteilen aus.
Zwischen den Welten steht die greise Gräfin – die 74-jährige Hanna Schwarz legt einen großen Auftritt hin! – mit mondäne Libertinage signalisierender roter Perücke und rosa Strümpfen zum Minikleid. Sie war einst in Paris die legendäre Gräfin aus Moskau mit dem Hang zum Spiel und kennt das Geheimnis der gewinnenden Karten, das Hermann ihr abjagen will, sie dabei aber unabsichtlich tötet. Nüchtern bebildert Neuenfels diese Szene mit einem blendend weißen Raum.
Grandios taktet der Regisseur die schnellen Szenenwechsel und es grenzt an ein handwerkliches Mirakel, wie er riesige Chor-Tableaus uniformer Massen nahtlos in psychologisch bis ins Letzte ausgefeilte Szenen übergehen lässt. Dabei hört er vor allem auf die Musik: jeder Blick, jede Geste, jede Bewegung ist motiviert und beglaubigt durch Tschaikowskis soghafte Musik, was dem Abend eine stupende Klarheit und Triftigkeit verleiht.
Am Pult der Wiener Philharmoniker agiert Mariss Jansons, sonst ein rarer Gast im Opern-Graben, als Neuenfels’ Partner auf Augenhöhe und zugleich eigentlicher Motor des Dramas. Die Wiener Philharmoniker klingen transparent, trennscharf, mit ganz frei klingender Eigeninitiative – vor allem beim Holz – und leidenschaftlich bis an die Grenze zum Exzess. So aufregend hört man Tschaikowski selten. Hier klingt er wie ein emotionaler Extremist an der Grenze zum Wahn. Was im Übrigen perfekt passt zum diesjährigen Festivalmotto „Passion, Leidenschaft, Ekstase“.
Gelegentlich wird es richtig laut, aber das famose, fast durchweg russisch besetzte Sänger-Ensemble behauptet sich souverän. Heraus ragen Brandon Jovanovich als selbstzerstörerischer Hermann mit kraftvollem Tenor-Metall, aber auch lyrischen Nuancen, eine Entdeckung ist der balsamisch strömende Bariton von Igor Golovatenko in der Rolle des Fürsten Jelitzki, Evgenia Murarveva singt die Partie der Lisa mit loderndem Sopran und Hanna Schwarz ist eine markante, erstaunlich stimmfrische Gräfin. Ovationen, vereinzelte Buhs für Neuenfels’ Team.