Foto: Paul Herwig als ermatteter Kreon und Ensemble in "Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino" am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. © Stephen Cummiskey
Text:Detlev Baur, am 25. November 2013
Ein leise sprechender Offizier berichtet vom beidseitig tödlichen Bruderkampf zwischen Eteokles und Polyneikes und dem anschließenden Selbstmord ihrer Mutter Iokaste. Der Bote ist heiser geworden vom Kampfgeschrei oder vom Bericht der langen Schauergeschichte. Martin Crimps Stück „Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino“ hält sich relativ eng an „Die Phönizierinnen“ des Euripides. Crimp schafft allerdings einen Rahmen für das fürchterliche Familiengeschehen bei Euripides, das vom Bruderkampf ausgehend auf das Ödipus-Drama zurückverweist und zugleich vorausblickt auf den weiteren Tod in die Familie bringenden Konflikt zwischen Antigone und Kreon. Die phönizischen Mädchen des Chores leiten in dieser Neufassung nun, angefangen mit Mutter Iokaste, die Familienmitglieder an, ihre eigene Rede zu referieren. „Sagt Iokaste“, soufliert erst eines der Mädchen und wird dann von Iokaste zur Einleitung ihrer Rede wiederholt. Der Chor wird zum in Szene setzenden Reiseführer durch die Zeiten, Crimps Drama ähnelt einem Erinnerungs-Gespräch über die Zeiten hinweg. Dreh- und Angelpunkt ist – mit Verweise auf Pier Paolo Pasolinis „Ödipus“-Film –¬ dabei die Sphinx-Frage nach dem Menschen, bis hin zur genetischen Manipulierbarkeit heute.
Katie Mitchells Uraufführung für das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg fand auf dem Gelände des Studios Hamburg statt. Die Bühne von Alex Eales zeigt das Treppenhaus einer heruntergekommenen Villa, ähnlich wie bei Anna Viebrock, nur noch düsterer und ohne Charme im Verfall. Das große und hochkarätige Ensemble(mit Julia Wieninger als Iokaste, Sophie Krauß als Antigone, Bastian Reiber als Polyneikes, Christoph Luser in der Rolle des Eteokles, Paul Herwig als Kreon, Michael Wittenborn in der Rolle des Teiresias, Uwe Dreysel als Menoikeus, Niklas Bruhn als verwundetem und Giorgio Spiegelfeld als leise sprechendem Offizier sowie dreizehn Mädchen) lässt von Anfang an keinerlei Spannung, dafür aber sehr viel Druck im Familienhaus aufkommen. Iokaste wird ob des Leids zunehmend wahnsinnig, Antigone ist ein traumatisiertes Kind, die Brüder und ihr Onkel Kreon erscheinen als feige, verängstigte Männer, die nur eine Gangart kennen: den Schritt zurück. Ausgerechnet Ödipus behauptet in seinem kurzen Auftritt am Ende einen Anflug von Humor und Normalität. Eine Chance hat aber auch er nicht.
Denn offensichtlich sind alle Familienmitglieder Gefangene des Hauses. Die Türen öffnen und schließen sich wie von Geisterhand; und zu ihren Auftritten werden die vermeintlichen Herrscher Thebens von den Mädchen aus ihren Räumen gezerrt. Der Chor der Fremden hat sich zum Gefängniswärter entwickelt. Und zu einer Art Museumsführer. Die Gegenstände wie der Dolch zur Opferung von Kreons Sohn Menoikeus werden von den perfekt funktionierenden Damen in Glasvitrinen hereingebracht. Und immer wieder läuft der Film rückwärts, geht das exakt getimte Ensemble rückwärts, um in eine neue, noch fürchterliche Szene zu starten. Die Inszenierung ist in ihrer Perfektion der Düsternis bezwingend, die Darsteller lassen in Abgründe blicken, die ob ihrer Hoffnungslosigkeit eher traurig als tragisch sind; Fragen an das Menschsein bleiben jedoch kaum offen.