Foto: „Die Bakchen - lasst uns tanzen“: Szene mit Sylvana Krappatsch und Vincent Glowinski © Danny Willems
Text:Ulrike Kolter, am 16. März 2019
Die Bühnenarbeiten des belgischen Choreographen, Filmemachers und Regisseurs Wim Vandekeybus sind nichts für zartbesaitete Gemüter. Doch Gemetzel und Sexualtrieb gehören zum Menschsein – erst recht in den düsteren Tragödien des Euripides. Dessen Drama „Die Bakchen“ hat Vandekeybus nun in seiner gewohnt radikalen, multimedialen Darstellungsweise auf die hübsche Rokoko-Bühne Münchner Cuvilliés-Theater gebracht – ein krasser Kontrast.
Die Textadaption des flämischen Schriftstellers Peter Verhelst überführt das antike Versdrama in simple, heutige Sprache und streicht den kommentierenden Chor nahezu ganz. Dionysos, Sohn des Zeus, kehrt in seine Geburtsstadt Theben zurück, wo er mit dem ungläubigen König Pentheus aneinandergerät. Der Gott des Weines hat alle Frauen der Stadt in die nahegelegenen Wälder geschickt, wo sie wahnverfallen in orgiastischen Festen ihren Trieben frönen – was wiederum so gar nicht in Pentheus‘ säkulares Weltbild passt. Weil auch Agaue, Mutter des Pentheus, unter die Waldfrauen gegangen ist, überredet Dionysos den König dazu, heimlich den Orgien beizuwohnen. Leider wird Pentheus im Baumwipfel entdeckt und von der eigenen Mutter sowie den anderen Bakchen in Stücke gerissen. Agaue wird hier – neben Pentheus und Dionysos – zur starken Figur dieser Stückfassung und ist schon zu Beginn mit auf der Bühne. Wenn Pentheus in seinem starren Weltbild proklamiert „Wir müssen die Frauen retten!“ erwidert Agaue nur zynisch: „Wollen die Frauen das denn…?“
Für „Die Bakchen – lasst uns tanzen“ hat Vandekeybus den klettererprobten Brüsseler Street-Art-Künstler Vincent Glowinski verpflichtet, der die zu Beginn komplett weiße Bühne sowie die in knappe Tücher bekleideten Tänzerkörper im Verlauf des Abends mit seinem Live-Painting komplett transformiert. Wie ein flinkes Insekt wird er mit schwarzer Kreide und Pinsel kopfüber eine haushohe Leinwand heruntergelassen, lässt überdimensionale Fratzen entstehen, Brustwarzen, Schattenlinien. Als später Pentheus‘ Macht schwindet, ihn die Bakchen verhöhnen, versucht der König eifrig, alles weiß zu überstreichen, wieder Ordnung herzustellen in Theben, und gibt dabei ein erbärmliches Bild ab.
In der Koproduktion von Residenztheater und Vandekeybus‘ Kompanie Ultima Vez stehen Schauspieler und Tänzer gemeinsam auf der Bühne: König Pentheus (Till Firit), Dionysos (Niklas Wetzel), der blinde Seher Teiresias (René Dumont) und Großvater Kadmos (Wolfram Rupperti) aus dem Münchner Resi-Ensemble, seine Mutter Agaue (Sylvana Krappatsch), dazu zwei Tänzerinnen (Zoe Gyssler, Aymara Parola) und zwei Tänzer (Horacio Macuacua, Borna Babić). Die Bakchen also männlich und weiblich besetzt, Geschlechtergrenzen zerfließen in den Knäulen aus farbverschmierten, halbnackten Körpern. Viel Fläche haben die Tänzer nicht für ihre Hebungen (mit brutalem Griff in den Schritt) und animalischen Zuckungen, dafür wird ausufernd geröchelt und gewimmert. Hier ist kein Platz mehr für Sprache, wozu auch, Kadmos‘ weise Floskeln führen zu nichts.
Das fügt sich lautmalerisch ein in den psychedelischen Klangteppich des Musikers Dijf Sanders, der an der linken Bühnenseite hockt und mit Schlagwerk und kleinen Blasinstrumenten eine Mischung aus fernöstlicher Klangwelt und westlichem Elektrosound beisteuert.
Nach dem finalen Farbrausch aus eimerweise Gelb und Blau bleibt Agaue – großartig in ihrem Wahn gespielt von Sylvana Krappatsch – mit dem getöteten Sohn unterm Arm zurück; Dionysos vollendet seine Rache und verbannt die Königsfamilie. Doch Vandekeybus torpediert das Machtgefüge und gönnt den Bakchen ihren Triumph: blitzschnell töten sie auch Dionysos und klettern davon.