Foto: Judith Oswalds Bühne mit dem Ensemble von "Der Koch, der Maler und der Barbier des Präsidenten". © Uwe Lewandowski
Text:Jens Fischer, am 28. November 2011
Macht macht mächtig – einsam. Und so präsentiert Anne Lenk das Stückpersonal voneinander isoliert. In einen Kunstraum bannt sie deren Antriebwahnsinn, das von Eitelkeit, Rachsucht, Gier befeuerte Machtstreben. Ausstatterin Judith Oswald baute einen Setzkasten, jede der sechs Hauptfiguren bekommt darin eine eigene Gefängniszelle. Denn all die Namenlosen – „Der Koch, der Maler und der Barbier des Präsidenten“ als auch des Kochs Tochter, des Malers Gattin, des Barbiers Schwägerin – wurden in einem namenlosen Land von den neuen Machthabern als Kollaborateure des weggeputschten „Präsidenten“ unter eine Art Hausarrest gestellt. Ihr Wegschauen bei den Machenschaften des ehemaligen Arbeitgebers bedeutet: Sie haben zugelassen, also mitgemacht, also moralische Verantwortung auf sich geladen. Autorin Ceridwen Dovey wuchs als privilegierte Weiße unter anderem in Südafrika zur Zeit des Apartheid auf und betitelte ihr Buch im Original „Blood kin“: Es geht also im metaphorischen Sinn um Blutsbande. Wie weit diese gehen, wird in bester Krimi-Dramaturgie enthüllt: Wer ist hier mit wem verwandt, von wem gerade schwanger? Erzählt wird ohne detektivische Hilfe: vornehmlich durch innere Monologe.
Diese multiperspektivische Struktur der Vorlage transferiert Anne Lenk wirklich beeindruckend in die Setzkästen. Die Figuren sind Schmuckstückchen (des gerade abgesetzten Unrechtsregimes), sie sind einerseits Erinnerungsdevotionalien für die These, wie Nähe zur Macht abfärbt und korrumpiert, sowie andererseits Gefangene ihrer selbst – zwischen Integritätswunsch und Machtlust. Alle sitzen/lungern stets unbeteiligt herum – bis ihr Stichwort kommt. Schnell und engagiert wird sich dann in Pose geworfen. Jede Figur möchte das Publikum wie eine Jury, wie ein Geschworengericht von ihrer Version der Geschichte überzeugen, ihrem Nachdenken über die Vergangenheit Recht verschaffen. So entwickelt sich ein facettenreiches Bild über das Wesen der Macht. Nicht nur inszenatorisch, auch darstellerisch ist das beeindruckend umgesetzt. Alle Mimen agieren ohne Sichtkontakt, ohne Möglichkeiten der Interaktion in ihrem Isolationshaft-Kästchen und entwickeln trotzdem so vital wie profilscharf ihre Charaktere. Das hat immer wieder die Intensität eines Schauspielers beim Vorsprechen für die Rolle seines Lebens.
Anne Lenk macht es keinem leicht, aber enorm spannend, gegen das leidenschaftliche Spielen die sperrig gestrenge Inszenierung zu setzen. Wie Dovey verweigert sie eine verlässliche Erzählinstanz. Wir Zuschauer müssen aus den Widersprüchen in dem Mosaik monologischer Textblöcke eine Wahrheit herauscollagieren. Gegenüber der Vorlage verschiebt die Regisseurin zudem den Fokus durch ihre (mit dem Dramaturgen Hilko Eilts erstellte) Fassung. Nicht so sehr die Schuldfrage interessiert sie, sondern inwieweit das Begehren anderer Körper und das Begehren der Macht korrelieren. Die vom Stückpersonal geschilderten Sexpraktiken sind eine ideale Vorlage fürs psychologische Analysieren. Machtstreben und -erhalt scheinen jede lustvolle Erfahrung eines Miteinanders unmöglich zu machen. Macht macht einfach keinen Spaß. Die Inszenierung auch nicht. Sie überzeugt – nachhaltig.