Foto: Verschwommene Persönlichkeiten in "Öl": Clemens Dönicke als Paul Watkins und Karen Dahmen als Viola Tracy. © Florian Merdes
Text:Volker Oesterreich, am 21. Juni 2013
Gier und Korruption regieren die Menschheit seit biblischen Zeiten. Und wenn zu diesen beiden Komponenten auch noch Erdöl hinzukommt, entwickelt sich der explosive Treibstoff des Turbokapitalismus. In Upton Sinclairs bereits 1927 erschienenem Roman „Öl!“ wird diese Bestie losgelassen. Jan-Christoph Gockel hat den Reißer, in dem nicht weniger versucht wird, als die gesellschaftlichen Erdbeben vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg zu beschreiben, mit großem inszenatorischen Aufwand als Deutschsprachige Erstaufführung auf die Bühne des Heidelberger Theaters gebracht.
Der Ölmagnat J. Arnold Ross und dessen Sohn Bunny als aufgedrehter Naivling sind gänzlich dem Rausch ums schwarze Gold verfallen. Entdeckt haben die beiden „Rösser“ den schmierigen Brennstoff unter den Grundstücken der kalifornischen Landbevölkerung, die von Ross senior mit dem Versprechen auf rasches Geld über den Tisch gezogen wird. Die Verquickung von Finanzwirtschaft und Krieg wird dabei ebenso deutlich wie das Prinzip des Lohndumpings, gegen das die Gewerkschaftler inbrünstig ankämpfen. Ja, und medienkritisch geht’s in „Öl!“ auch noch zu, da der Stummfilm als propagandistisches Opium fürs Volk entlarvt wird. Ziemlich viel auf einmal. Und an diesem Zuviel krankt auch die Bühnenfassung, die von der Dramaturgin Patricia Nickel-Dönicke gemeinsam mit dem Regisseur und dem Ensemble erarbeitet wurde.
Als Gast für die Rolle des J. Arnold Ross hat sich Regisseur Gockel eine Größe vom Frankfurter Schauspiel ausgeguckt: Wolfgang Michael. In Heidelberg gibt er einen ölig-nöligen Ölmagnaten, der auf das Prinzip der Gewinnmaximierung abonniert ist. Ihm zur Seite Sebastian Brandes, der sich als Sohn Bunny quirlig und komödiantische in die Gunst des Publikums spielt. Clemens Dönicke, Benedikt Crisand und Miriam Horwitz müssen als Mitglieder der übervorteilten Familie Watkins, als fundamentalistische Frömmler oder als aufgewiegelte Gewerkschaftler vielerlei Aufgaben in diesem breit aufgefächerten Gesellschaftspanorama übernehmen, und das gelingt dem Trio recht gut. Für die doppelbödige Facette des musikalischen Symbolismus sorgt Karen Dahmen als Tingeltangelgirl, das später auch einmal zeigt, wie sich ein Filmsternchen auf der Besetzungscouch prostituiert.
Den wichtigsten Part übernimmt aber die Technik des neuen Marguerre-Saals im Heidelberger Theater. Die erste Dreiviertelstunde sitzt das Publikum im Saal, dann nimmt man unterm Bühnenturm auf vier Sitzblöcken Platz und schaut auf ein Quadrat, das sich mal bedrohlich in die Tiefe absenkt, dann partiell in die Höhe gefahren wird. Sophie du Vinage, die Bühnenbildnerin, lässt die Zuschauer dadurch einen monströsen Bohrturm assoziieren. Von ihrem Berliner Bühnenbild-Kollegen Bert Neumann hat sie sich überdies die Idee der so genannten Castorf-Container geborgt. In der Heidelberger Variante handelt es sich um ein würfelförmiges Blech-Gehäuse, in dem ebenfalls gespielt wird. Das von außen nicht sichtbare Geschehen im Inneren wird mit vier Beamern auf die Außenwände des Würfels projiziert. Unter ihm vollzieht sich dann auch die finale Katastrophe – dergestalt, dass der gealterte Ölmagnat in einer Badewanne voller Öl seine letzte Ölung erhält.