Foto: Barbara Heynen, Natalia Belitski und Benjamin Lillie in der Uraufführung von "Brandung". © Arno Declair
Text:Detlev Baur, am 6. Juni 2013
Ein etwa fünf mal drei Meter großes Gitterfenster steht im Hintergrund der Bühne. Die zahlreichen tellergroßen Scheiben bestehen zum großen Teil aus Eis und schmelzen während der anderthalbstündigen Vorstellung. Die so einfache wie vieldeutige Bühnenkonstruktion (Jonathan Metz) ist in vielfacher Hinsicht ideal für das Stück. „Ich“, „Er“ und „Sie“ berichten von der Gegenwart, die sich immer auf einen kriminalistischen Fall vor einigen Tagen bezieht, geben also Bruchstücke der Vergangenheit frei. Eines nicht fernen Tages ging ihre Freundin Karla zum Einkaufen und kam nie zurück; dann wird sie tot im aufgetauten Fluss gefunden; zuerst erscheint es wie ein Selbstmord, dann wie ein Mord oder auch wie ein Unfall.
„Brandung“ von Maria Milisavljevic ist eine Vierecksgeschichte, Unterschichtendrama, Jugend- und Heimatstück, ein Thriller und einfach ein großes lust- und schmerzvolles Geschichtenerzählen. Formal erscheint es sowohl als eine heterogene Textfläche voll epischer Elemente wie auch als verbindliches Figurenporträt voll starken Vertrauens in die Kraft der Sprache. Sie ist einfach und dabei poetisch-präzise gestaltet, die Themen sind weit gefächert und doch kunstvoll und sinnreich miteinander verknüpft. Das mit dem Kleist Förderpreis 2013 ausgezeichnete Stück (siehe DDB 3/2013) ist also im besten Sinne eine multikulturelle Mischung aus angelsächsischem well made play und deutschem Kunststück. Maria Milisavljevic promovierte über das Royal Court Theatre in London und ist zudem Hausautorin am Tarragon Theatre in Toronto; sie wurde in Westfalen geboren, studierte in Passau, arbeitete in der freien Szene und inszenierte am Landestheater Niederbayern.
Von „Gestern, vorgestern, seit 3 Tagen“ bis „Gestern, vorgestern, vor 41 Tagen“ berichten die Drei im Sprung zwischen Gegenwart, jüngerer Vergangenheit und Vorgeschichten von Karla und sich. Ganz langsam wird deutlich, dass Ich und Er (Vlado) eigentlich ein Paar sind, Karla aber auch Vlados Freundin war. Christopher Rüping verteilt in seiner Uraufführungsinszenierung des Deutschen Theaters Berlin, die bei den Ruhrfestspielen Premiere hatte, die Rollen ziemlich eindeutig und verzichtet damit auf zusätzliche Brechungen zwischen den Figuren. Den Anfang macht jedoch der Musiker Christoph Hart, der im Kostüme einer Seejungfrau an die Verschwundene und im Fluss aufgefundene Karla erinnert, zum Ende wieder auf die inzwischen nasse Bühne watschelt und ansonsten hinter der Glasscheibe stimmungsfördernde Keyboardmusik macht. Natalie Belitski dominiert in der Hauptrolle Tempo und Emotionen des Geschehens, Benjamin Lillie als Vlado und Geliebter Jo sowie Barbara Heynen als ihre Schwester bleiben etwas blasser. Die unter dem Eis brodelnden Beziehungsschwankungen wirken so eher angedeutet als emotional ausgespielt. Aber auch so hat diese „Brandung“ noch eine starke spielerische und sprachliche Kraft.