Ewald Arenz schiebt den aufrechten Tunnel-Propheten (Alen Hodzovic mit emphatischer Stimmkraft an sprunghaften Charakterwendungen entlang) durch einen Slalom von Mit- und Gegenspielern. Die liebend einsame Ehefrau daheim (Caroline Kiesewetter im Hascherl-Modus), das Milliardärstöchterchen mit Stalker-Begabung (Antje Eckermann schmettert schulter- und moralfrei „Ich bin nicht an Mittelmaß interessiert“), die mit dem passenden Namen Woolf gesegnete Börsenspekulantin (Bettina Meske singt zähnefletschend), der brummelige Großinvestor Lloyd (Ansgar Schäfer) mit der „Ich kann nicht anders“-Attitüde. Der Weg zwischen Privatleben und Weltgeschichte, Partyplappern und Katastrophe, hin und zurück und auch mal außen rum, ist mit 18 Songs gepflastert. Die Züchtung von Ohrwürmern war dem komponierenden Jazz-Pianisten Thilo Wolf weniger wichtig als der einheitliche Klangteppich, der sich wie geklöppelt unter die Vielfalt der Songnummern schiebt. Für sie greift der Musiker tief in die eigene Erfahrungsschatzkiste, verteilt kantige Rhythmen aus dem Lehrbuch von Foxtrott, Tango, Rap und Rumba. Wolfs Swing-Motorik schnurrt geölt durch den Abend. Die Sänger sind alle stilsicher und hochprofessionell, könnten mühelos in jedem Stück von „Jesus Christ Superstar“ an aufwärts ihren Platz finden. An der Austauschbarkeit der Gesangslinien, an der pauschalisierenden Soul-Sause der elektronisch durchgekneteten Musical-Stimmführung lässt sich offenbar ohnehin nichts mehr ändern.
Regisseurin Jean Renshaw erhebt ein paar Einwände gegen die platte Musical-Rhetorik. Sie hat von Marc Jungreithmeier, der auch für Rimini-Protokoll arbeitet, eine raffinierte Klotz-Installation erschaffen lassen. Auf der Drehbühne die neutralisierte Skyline aus dem vergrößerten Modellbaukasten, die erst per Video-Flutung zum austauschbaren Stadtbild oder zum flammenden Katastrophen-Szenario wird. Ansonsten ist die Ballung von gestaffelten Podesten der schwindelerregende Kletter-Parcours für alle, die da ohne Geländer nach ganz oben streben. Renshaw spielt mit der Metapher der Absturzgefahr, wie sie auch mehrfach Dialogsätze zur Schablone macht, indem sie deren Wiederholungen wie einen Sprung in der Platte zelebriert. Sie sucht erfolgreich die inszenatorische Irritation, wenn die Story samt ihrer systemkritischen Umrankungen allzu glatt läuft und fährt mit trockenem Witz dazwischen, sobald es betulich wird. Am Ende knallt sie dem Zuschauer, der da grade auf wahlweise tragische oder versöhnliche Schlussperspektive eingestimmt ist, einen Blackout vor den Latz. Nein, es gibt keine tröstliche Gewissheit. Dann öffnet sich der Vorhang nochmal und die sechs Akteure haben tänzelnd zur Disco-Entspannung gewechselt. Noch etwas mehr davon hätte die Aufführung zuvor brauchen können. Aber die (lang applaudierenden) Zuschauer bestaunten auch so, wie gescheit Musicals daherreden können.