„Thomas“ im Utopia: im pulsierenden Herz
Im Utopia zwei Tage später dann das Kontrastprogramm: Hier sitzen ein paar Musiker (Zither, Gitarren, Harfe, Mandoline, Akkordeon, Schlagzeug, Cembalo), die oft mit dem Münchener Kammerorchester zusammenspielen, in einer Skulptur, die anfangs das pulsierende Herz des sterbenden Matthias darstellt, während man ihn aus Lautsprechern atmen hört. Später versteinert die Oberfläche oder man sieht darauf in extremer Nahaufnahme die Hand des überlebenden Thomas (Bühne: Katrin Connan): Holger Falk tritt aus dem Publikum die Stufen zur Bühne herab und kehrt am Ende dorthin zurück. Bei Regisseurin Anna-Sophie Mahler gibt es keinen sichtbar sterbenden Geliebten, auch keine Leiche. Aber ausführlich wird mit geradezu schmerzender Detailgenauigkeit erzählt, wie der tote Körper von Schläuchen befreit, gewaschen und angekleidet wird. Letzteres nimmt „Frau Fink von der Bestattung“ (eine singende Nervensäge erster Güte, die schließlich buchstäblich als Skelett zum Todesengel wird: Hélène Fauchère) an Thomas selbst vor. Als Matthias (Konstantin Krimmel), Thomas‘ verstorbener Geliebter, wieder lebendig zu werden scheint, Hunger verspürt und das Paar eine Art gemeinsames letztes Abendmahl einnimmt, tragen beide dasselbe schwarze Hemd mit floralem Muster (Kostüme: Pascale Martin). Die Stimmen zweier schöner, charismatischer (Bass-)Baritone, die auch großartige Lied-Sänger sind, scheinen da als Duettierende im fliegenden Wechsel der einzelnen Wörter zu verschmelzen. Doch dann verlässt Matthias seinen Thomas endgültig, während hinter dem geöffneten „Herz“ das Vokalensemble Invocare berückend die Madrigal-Fassung des berühmten „Lamento d’Arianna“ von Claudio Monteverdi singt. Sinnigerweise beginnt es mit „Lasciatemi morire – Lass mich sterben!“
Wieder kontrastiert die Musik des frühen 17. zu der des 21. Jahrhunderts perfekt, nur dass diesmal anderthalb Stunden fast nur irreal gezupfte Klänge und neben dem Mezzo Yajie Zhang und der Sopranistin Jessica Niles als Krankenschwestern gleich zwei Countertenöre zu hören sind. Randal Scotting ist mit warmem Altus der emphatische Krankenpfleger Michael, während Rupert Enticknap einen schneidend gefühllosen Arzt verkörpert. Auch Hagen Matzeit als beflissener Makler in „Bluthaus“ nutzt seine durchdringend hohe Stimme für die Darstellung eines eigentlich höchst zweifelhaften Charakters.