Foto: Teil einer großen Reality Show: Frank Röder, Rudi Grieser, Maurizio Micksch und Benedikt Paulun. © Marc Lontzek
Text:Manfred Jahnke, am 28. Februar 2020
Kann es sein, dass jene Dramatik, die Ende der 1940er, Anfang der 1950er Jahre unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg entstand, heute auf einen glitzernden Müllhaufen gehört? Dass einer Parabel wie dem „Lehrstück ohne Lehre“ – so Frischs eigene Bezeichnung für „Biedermann und die Brandstifter“ – nur noch mit Trash, als miese Fernsehshow auf die Welt der Biedermänner, beizukommen ist? So geschah es nun am Theater Ulm bei Regisseur Ekat Cordes.
Wir sind in einem Fernsehstudio, Anike Sedello hat ein zweistufiges Bühnenbild geschaffen, das Publikum sitzt auf beiden Seiten auf der Bühne. Nachdem Alexandra Ostapenko als Brandschutzbeauftragte dem Publikum das Funktionieren des Eisernen Vorhangs erklärt hat, betritt der blonde ölige Moderator Frank Röder durch einen golden glitzernden Vorhang die Bühne zur Show „Im Visier um Vier“, einer Art nachgestellte Reality-Show, in der die Schuldigen an der großen Brandkatastrophe gesucht werden. Da ist erst einmal jeder verdächtig, auch Zuschauer, die auf die Bühne geholt werden. Szenen werden zurückgespult, um verdächtige Sätze aufzuspüren. So wird denn bruchstückhaft die Geschichte von Max Frisch erzählt, wie da erst Benedikt Paulun als fast hippiehafter Ringer Schmitz, dann der ehemalige Oberkellner im Bademantel (Rudi Grieser) in das Haus des Herrn Biedermann eindringen, den Maurizio Micksch als spindeldürren, sich um sich selbst drehenden Menschen zeigt. Rechtfertigungszwang setzt sich in Bewegung um, leider auch in Brüllerei: Alle Fernsehzuschauer, scheinen die Macher zu glauben, sind schwerhörig. Und müssen deshalb brüllen, auch Nicola Schubert als herzkranke Frau Biedermann mit Dauerlächeln und Alexandra Ostapenko als Dienstmädchen Anna, wobei da denn manchmal die Stimme in den hohen Tönen ins Unverständliche abdriftet.
Selbstverständlich agiert das Ensemble mit großem Spielspaß, darf Jingles basteln und den Text verjuxen. Eine miese Show auf die Bühne zu stemmen, könnte ja einen satirischen Ansatz bedeuten. Da kommt das Spiel aber zu selbstverliebt daher, fehlt die kritische Distanz, auch oder gerade, wenn alle „richtigen“ Mixturen einer Reality-Show zusammengemischt werden. Da ist der Nachrichtensprecher – eine der vielen Rollen von Björn Ingmar Böske, der hier auftrumpfen kann – die Expertenrunde, der Literaturprofessor im Rollstuhl, der Running Gag von den Feuerwehrmenschen, die im Flugzeug sitzen und bis zum Ende der Show nicht landen können. Erspart bleibt dem Publikum die Einlage von „Ring of fire“. Stattdessen singt Benedikt Paulun gleich zwei Mal sein Lied vom „Fat man“, leider lässt man ihn nicht zu Ende singen. Schade eigentlich, dass die Zeiten des Fernsehballetts vorbei sind. Ach ja, dafür haben wir die „Ghost Investigators“, nachdem es zuvor mit der Kugel der Wahrsagerin nicht so recht funktioniert hat.
Nachdem schon die sieben Benzinfässer vom Bühnenhimmel auf den „Dachboden“ herabgeschwebt sind, erscheint zum Showdown die Superfrau der Alexandra Ostapenko am Bühnenhimmel, der langsam sich rot einfärbt, weil es in den Vororten Ulms schon brennt. Es kommt, wie es kommen muss: Die Schelte auf das Frauenbild von Max Frisch, wohlfeiler Feminismus ist nun gefragt. Aber dann der absolute Overkill: Während Schmitz und Willi ihre Feuersbrunst vorbereiten, erscheint der Moderator mit Flammenwerfer und verkündet die „Apokalypse als Reset“. Das Publikum ist eingeladen, die Spieler anzufeuern. Na, denn, für die Regie des Ekat Cordes ist ja alles nur ein Spiel: Ernstnehmen gilt nicht! So viele Buhrufe für die Regie beim Schlussapplaus habe ich im Theater Ulm lange nicht mehr gehört.