Foto: Christoph Willibald Glucks "Ezio" an der Oper Frankfurt. Sonia Prina (Ezio) © Barbara Aumüller
Text:Wolf-Dieter Peter, am 11. November 2013
Als „Kostbarkeit des Randrepertoires“ erlebte Intendant Bernd Loebe eine konzertante Aufführung von Christoph Willibald Glucks „Ezio“ in Wien. Werk wie zwei Protagonisten beeindruckten ihn so, dass er mit eben diesen beiden Solisten die Frankfurter Erstaufführung auch szenisch wagen wollte.
Das 1750 für Prag komponierte und dann für Wien überarbeitete Werk zeigt nämlich Gluck an einer spannenden Wegemarke seines Schaffens: noch der barocken Nummern-Oper mit einigen virtuosen Arien verhaftet, doch schon hörbar intensiv bestrebt, die Dramatik der Handlung über alle Gesangsartistik dominieren zu lassen – also hat er den Rezitativen breiteren Raum eingeräumt und dabei aus Metastasios glänzendem Libretto die politischen Winkelzüge, die verbalen Intrigen und berechnenden Emotionen herausgearbeitet. Folglich müssen die sechs Hauptpersonen fast schon wie Figuren im modernen Musiktheater ihre Positionen agierend und reagierend gestalten, schon vom „secco“ zum „accompagnato“ steigern und „dürfen“ dann erst als Höhepunkt der Szene ohne große orchestrale Einleitung in ariosen Gesang ausbrechen. Das gelang nach einer noch etwas steifen „Anwärmphase“ zunehmend überzeugend. Dirigent Christian Curnyn animierte das kleine Barockorchester heftig, das Presto der Rache-Arien machtfixierter Mannsbilder fegte dahin und in herzanrührendem Kontrast klagte dann die Barockoboe über die Verführbarkeit des Menschen wie des Volkes. Denn neben aller Dramatik hat Gluck nicht nur Fiorituren und Koloraturen perfekt genutzt: der neurotisch machteitle, mal unter Verfolgungswahn leidende, mal intrigant berechnende Kaiser Valentiniano von Countertenor Max Emanuel Cencic führte dies atemberaubend vor und so entstand eine vokale Mischung aus Nero und Caligula. Viel mehr noch berühren aber die Arien, in denen Gluck vom Scheitern, von Verzweiflung und vom barocken „menschlichen Elende“ singen lässt, wenn Ezio seine und die ihn liebende Fulvia ihre ruinierte Liebe beklagen – das gelang zum einen Sonia Prina in der Kastratenrolle des Ezio mal heftig, mal eindringlich. Alle überragte aber Mezzosopran Paula Murrihys Fulvia: vom Kaiser begehrt, vom gedemütigten Vater zur Kaiser-Mörderin instrumentalisiert, von Ezio in Frage gestellt, von der eifersüchtigen Kaiser-Schwester beneidet, ist sie die humane Identifikationsfigur, deren zarte „aura amorosa“ ins Herz trifft – die heimliche Heldin, von einem männerdominierten Politiksystem ausgebeutet und seelisch gebrochen. Zu Recht ein „Brava!“-Sturm inmitten aller hochklassigen Kollegen.
Für diese Macht- und Liebesintrigen um den historischen Attila-Bezwinger Aetius-Ezio hat das Bühnenteam teils faszinierende Lösungen gefunden. In Christian Lacroixs fulminant übersteigerten Traum-Roben zwischen Haute Couture und Barock-Kostüm bekamen die Figuren eine Grandezza, die ihnen exemplarischen Charakter und dramatische Fallhöhe verlieh. Kaspar Glarners puristische Bühne mit zwei, drei gegeneinander verschiebbaren, kahlen Wänden beschwor die Kühle und Verlorenheit von Menschen im Spiel der Macht und in ihren gelungenen Partien erreichte auch Vincent Boussards Regie die strenge Größe der klassischen „Tragédie lyrique“, erinnerte sogar momentweise an die pure Größe der Klassiker-Inszenierungen des Traum-Duos Chéreau-Peduzzi. Glarners zusätzliches Bühnenraffinement, einen matt spiegelnden Boden, nutzte Bibi Abels dezent dunkles Live-Video zur ergänzenden, multiperspektivischen Projektion der Bühnenaktion auf die Rückwand, was die Personen einmal mehr zu gesichtslosen Schachfiguren im Gerangel degradierte. Daneben erschienen nur genannte, auf- oder abtretende Figuren in Joachim Kleins überlegt ausgeklügelter Lichtregie als überlebensgroßer Schattenriss auf den Wänden – einmal mehr die Dominanz von Machtfiguren visualisierend. Wenn Boussard seine Personen zu einem fast dreistündigen Feuerwerk an klassisch überhöhter Expressionen hätte formen können, etwa mit Hilfe eines der Bühnenaktion nur dienenden Bewegungschoreographen – der wiederholt erzielte gleichsam zeitlose Gleichnischarakter hätte noch stärker gewirkt. So blieb als inszenierter Schlusseindruck die Wandlung in ein surreales Museum, in dem eine Gruppe heutiger Besucher die sechs Hauptfiguren nur noch wie Statuen der Ausstellung sah – doch zuvor war Gluck und Phasen der Inszenierung mehr entlarvender Bezug zum Hier und Heute aller Politik gelungen.