Es ist aber auch eine Welt der Fallen und Fallstricke. Denn die löchrigen Wände erlauben auch das Lauschen und Beobachten. Und so zieht sich Brangäne (Barbara Kozelj) zwar diskret zurück, als Tristan (Daniel Kirch) und Isolde (Meagan Miller) zum ersten Mal aufeinander treffen, doch sie schleicht draußen die Wände entlang. Das Hofdamen-Aufpasser-Prinzip, das die Protagonisten nie allein sein lässt, verkörpert in der treuen Dienerin. So setzen Enrico Lübbe und sein Co-Regisseur Torsten Buß (Chefdramaturg des Schauspiels) immer wieder Akzente. Tristan (Daniel Kirch) ist hier kein Held, wie er so oft genannt wird, sondern sehr menschlich. Er liebt, leidet, kämpft und steht auch mal stumm und betroffen da, wenn ihm wieder mal Untreue vorgeworfen wird, bald von Melot (Matthias Stier), bald von König Marke (Sebastian Pilgrim, wunderbar düster und menschlich). Daniel Kirch singt und spielt das mit ganz vielen Nuancen und Zwischentönen. So ist Lübbes Personenführung präzise, nachvollziehbar, nah an Handlung und Text, berührend – wie man es von seinen Schauspielinszenierungen kennt. So bleiben Spannung und Emotionen extrem hoch, auch über fünf Stunden.
Die wunderbare Lichtregie von Olaf Freese trägt viel zum Zauber dieser Aufführung bei: Da erstrahlt sogar der Türrahmen, wenn im 1. Akt der Geliebte endlich erscheint. Es verdüstert sich aber auch alles, wenn Tristan oder Isolde wieder in Abgründe stürzen, oder nur noch kleine, einzelne Lichter Orientierung geben. Die will Tristan auch das Englischhorn geben. Gundel Jannemann-Fischer betritt zu Beginn des 3. Aktes die Bühne, auf der der heimgekehrte Tristan und Kurwenal (Jukka Rasilainen) im sachten Schneetreiben kauern, trägt traurig-tiefe Klänge die Rampe entlang. Dann verharrt sie an der Seite, taucht in der Mitte der Szenerie wieder auf, bringt das Instrument zu ihm, als könnten ihm die Klänge Antwort auf seine Fragen geben. Wunderbar.
Da hatte Enrico Lübbe schon ein erstes Fragezeichen gesetzt. Im 2. Akt, den er mit immer wieder sinkendem Vorhang in Segmente teilt, steht plötzlich, mit dem Rücken zum Publikum, ein zweiter Tristan auf der Bühne, ein Doppelgänger. Ab hier schwingt die Frage mit, sind wir in einer echten (Liebes-)Geschichte oder einer Parabel, sehen wir Menschen oder Traumgestalten, Prototypen? Die Antwort gibt das Ende. Da umschwärmen den zwischen Liebes- und Leidenswahn taumelnden Tristan bis zu sieben Isoldes, bis endlich die eine erscheint. In Wagners Werk steckt das alles, Personen und Paradigmen, Traum, Realität und der Zweifel an beidem. Und mit Meagan Millers grandioser Schlussarie ist alles nur noch Wonne: Für Isolde, Tristan, Solisten, Orchester, Dirigent, Regieteam. Im fast viertelstündigen Jubel schien Daniel Kirch fast etwas ratlos, Meagan Miller dagegen gar nicht.