Foto: "Der König Kandaules" am Theater Augsburg © A.T. Schaefer
Text:Klaus Kalchschmid, am 28. September 2015
Der Bühnenkasten ist ausgemalt mit einem überlebensgroßen, halbzerstörten, aber wunderschönen islamischen Blüten-Ranken-Muster, das in feinstem Blau schillert, darin fast umgestürzte griechische Säulen und Müll – ein Clash der Kulturen zwischen Islam, Antike und Christentum; Gyges, der Fischer, spricht einen Prolog über der Musik als Melodram und umreißt den Beginn der Handlung: König Kandaules ist sein unermesslicher Reichtum über den Kopf gewachsen. Umgeben von schmeichlerischen Höflingen, die ihn ausnutzen, feiert er nicht nur mit ihnen ausgelassene Trinkgelage, sondern teilt bereitwillig seine Schätze. Er zwingt sogar seine bislang unsichtbare, tief verschleierte Frau, sich vor den Männern zu entblößen.
In der Augsburger Produktion auf der Grundlage konzeptioneller Ideen Lorenzo Fioronis von Søren Schuhmacher (Regie), Paul Zoller (Bühne) und Annette Braun (Kostüm) sind da die Schranzen aus ihrem Freeze erwacht und tauschen die Fräcke mit absurden Kostümen aus der Welt des Comics mit übergroßen Händen, Ohren, bunten Mützen und Jacken. Das soll wohl eine pervertierte Welt voller Popanze symbolisieren, bleibt aber leider ungefährlich. Doch die Dreiecksgeschichte, die sich zwischen Nyssia, der Frau von Kandaules, ihrem Ehemann und Gyges abspielt, hat es in sich: Der vermeintlich aufgeklärte König zwingt den Fischer, der ob einer Affäre mit einem Höfling die eigene Frau tötet (hier freilich „nur“ eine Puppe, die er zerfetzt), das Schlafzimmer seiner Frau mit einem unsichtbar machenden Ring zu betreten, während er die beiden beobachtet. Nyssia beschwört am Ende gegenüber ihm die schönste (Liebes-)Nacht ihres Lebens. Gyges hört das, offenbart sich deshalb und Nyssia, tief getroffen ob des doppelten Verrats, zwingt Gyges ihren Mann zu töten – und krönt ihn zum neuen König!
Augsburg kann nicht nur die sieben Nebenrollen der Höflinge aus dem Ensemble exzellent besetzen, sondern hat mit dem fantastischen, charismatischen Bassbariton Oliver Zwarg als Gyges, dem szenisch enorm wendigen und höchst ambivalenten Charaktertenor Mathias Schulz als Kandaules und nicht zuletzt der ungemein vielseitigen und immer musikalisch wie szenisch enorm präsenten Sally du Randt, die am Ende das dramatische Potential ihrer Stimme bis zum Anschlag ausreizt, Sänger und eine Sängerin für die Hauptpartien, die die zunehmende Sprengkraft der Partitur von 1936 kongenial umsetzen; einer Partitur, die zu zwei Dritteln nur in verschiedenen Versionen und als Particell überliefert ist, und die erst 1996 von Anthony Beaumont vollendet und instrumentiert werden und in Hamburg uraufgeführt werden konnte.
Im Gegensatz zum recht genau beschriebenen Anteil Beaumonts in einem dem „Kandaules“ gewidmeten Musik-Konzepte-Band ist das Ausmaß der Arbeit des ursprünglich vorgesehenen und dann mitten in den Vorproben am Ende der letzten Spielzeit erkrankten Regisseurs Fioroni unklar. Das Bühnenbild stand somit fest, wohl auch die Unterbrechung mitten im zweiten Akt, bevor Gyges auf Nyssia trifft. Spektakulär hebt sich da nach der Pause die Unterbühne und wir sehen auf Nyssias unterirdisches Gemach, ausgestattet mit Vorhängen, hinter denen man sich verbergen kann und die zugleich eine exotisch-erotisch aufgeladene Atmoshäre gerieren. Links und rechts daneben zwei kleine Räume, in denen mal Nyssia in ein üppig ausgreifendes blaues Kleid steigt oder – warum auch immer – Gyges sich mit Fischen übergießt, als stände er unter einer Dusche. Dem Fisch als christlichem Symbol für Jesus ähnlich, trägt Gyges zunächst eine Kette mit einem Kreuz, das er später gegen die Kette mit dem – heidnischen – (Zauber-)Ring tauscht. Auch hier also das Zusammentreffen verschiedenster Kulturen mit tödlichem Ausgang.
Jetzt gibt auch Domonkos Héja, der mit dieser Produktion erstmals als neuer GMD am Pult der Augsburger Philharmoniker steht, seine Zurückhaltung auf, legt nicht nur Wert auf impressionistische Abstufungen des Klangs und jugendstilhaft sich verästelnde Arabesken, sondern betont Schärfen, nicht zuletzt des Blechs, zieht immer wieder das Tempo an und lässt die Musik opalisierend schillern bis hin zum fatalen, dissonant aufrauschenden und sich verkeilenden Ende.