Am wenigsten lassen sie sich noch in dem Beitrag von Cayetano Soto erkennen. „Untitled for 7 Dancers“ gibt sich zu elektronischer Musik von Peter Gregson eher dunkel. Im Hintergrund der Bühne ist als einziges Dekor eine Digitaluhr zu sehen, die den Countdown einer choreografischen Verwandlung signalisiert, wie sie letztlich auch im „Schwanensee“ geschieht. Doch immer wieder gerät die plastische Bewegtheit ins Stocken, während unerbittlich die Zeit verrinnt. Das gibt dem Ballett manchmal etwas seltsam Skulpturales, das sich einem nicht immer spontan erschließt – auch weil der Spanier die Tänzer und Tänzerinnen in ihren schwarzen Ganztrikots schier zum Verschwinden bringt.
Ungleich deutlich wird da schon Marie Chouinard, die ihre Schwäne vor einem auflodernden Hintergrund postiert. Doch die Damen sind keineswegs fürs Feuer, sondern formieren sich am Ende gruppenbewegt zu einem Songtext des chilenischen Colectivo Lastesis, der unter dem Titel „Un violador en tu camino“ generell geschlechtsspezifisches Gewaltpotenzial anprangert. Die acht Tänzerinnen erscheinen in „Le Chant du Cygne: Le Lac“ zunächst allerdings wie Zwitterwesen, halb Mensch, halb Tier. Dass sich ein Arm jeweils spitzenschuhbesetzt wie ein Schwanenhals in die Höhe reckt, während ein Fuß unbeschuht bleibt, gibt den Bewegungen etwas Verkrüppeltes, gegen das sie sich zu Wehr setzen. Eine furiose, faszinierende, durchweg feministische Sicht auf ein Ballett, das anno 1877 bzw. 1895 ausschließlich von Männern geschaffen wurde.
„Shara Nur“, Gelber See, nennt Marco Goecke seinen Beitrag nach einem Gewässer in der Mongolei: eine Choreografie, die Geschlechtsunterschiede gänzlich ignoriert. Männer wie Frauen tragen das gleiche Kostüm: schwarze Hosen und rosarote, gemusterte Hemden, die einen an Flamingos denken lassen. Mehr Mimikry braucht sein Ballett nicht, das allenfalls am Ende insofern noch einen Bezugspunkt setzt, wenn Theophilus Vesely einen Oregami-Schwan in seinen zitternden Händen trägt, als wär’s ein Küken. Dazwischen gibt sich der Tanz schwermütig, sehnsüchtig und so traumverloren tänzerisch, wie man das sonst nur aus „Schwanensee“ her kennt – nur eben anders, gestenreich à la Goecke und zu Songs von Björk.
Mit „Swan Cake“ von Hofesh Shechter endet der gut zwei Stunden dauernde Abend, von dem einige Zuschauer wünschten, er möchte niemals enden. Kein Wunder, der Israeli aus England lässt sein Publikum nicht außen vor, sondern sieht es Teil einer Wertegemeinschaft, die das nunmehr wieder erlaubte Miteinander durchaus differenziert feiert: ausgelassen, individuell, hochmusikalisch und durchaus im Bewusstsein seiner potenziellen Gefährdung. Und in der Gewissheit, dass Shechter als Artist in Residence auch künftig dem Ensemble erhalten bleibt.