Beim nächsten Date erscheinen die fünf Minuten ewig: Regisseur Tobias (Camill Jammal) spricht mit Mascha (Judith Bohle), die nichts von Geschlechtsverkehr hält. Nach seinem Einwurf, Mascha habe wohl noch keinen guten Sex gehabt, möchte man als Zuschauer vor Fremdscham nur noch wegklicken, aber ganz schnell. Es folgt die Begegnung eines gestressten Arztes aus München (Tjark Bernau) mit einer Berlinerin (Lisa Hrdina), die aufgrund der räumlichen Distanz vorschlägt: „Wir könnten ja vor der Kamera masturbieren.“ Antwort: „Ich verstehe Sie jetzt akustisch nicht.“
Es sind solche unebenen, kratzigen Dialoge, die den halbstündigen Auftakt der Serie nicht nur unterhaltsam, sondern auch erkenntnisreich machen. Neben der ritualisierten Smalltalk-Normalität steckt viel Ohnmacht in diesen Begegnungen. Das war beim Online-Dating vielleicht auch schon vor Corona so – aber nun ist eine besondere Dringlichkeit dazu gekommen, die sich neben Langeweile vor allem aus Einsamkeit speist. Wer sich jetzt nach Nähe sehnt und keinen festen Partner hat, hat ein Problem.
Die Webcam ist ein Ausweg aus diesem Dilemma. In Zeiten des Virus wird sie zum Guckloch in den Rest an Öffentlichkeit, der noch geblieben ist. Die Singles in „zeitfüreinander“ grüßen, lächeln, flirten in die Kamera, und prosten ihr häufig zu, mit vollen Weingläsern. Zugleich ist die Webcam eine Bühne, auf der sie sich in Szene setzen. Der eine ist prahlerisch, eitel, vorpreschend, der andere unsicher, zurückhaltend, sich langsam vortastend. Auch auf das Bühnenbild kommt es an: Bei Tobias ragt ein Bücherstapel ins Bild, Thorsten sitzt auf einer Fitnesspritsche. Bei Lisa Hrdina kommt sogar ein virtueller Space-Hintergrund kommt zum Einsatz – perfekt für all diejenigen, die wirklich gar nichts von sich preisgeben möchten. Nur das Bücherregal, obligatorisches Hintergrund-Accessoire der allermeisten Fernsehinterviews, fehlt überraschenderweise.
Was nicht fehlt auf diesen Identitätsbühnen, sind Missverständnisse: Häufig fallen sich die Singles ins Wort, da die kleinen, wichtigen Signale fehlen, die einem normalerweise anzeigen, dass man sprechen darf. Grenzen werden überschritten, vermeintliche Trümpfe erfolglos ausgespielt. An anderer Stelle merken die Flirtenden, dass gerade etwas richtig Gutes passiert ist, einfach so, aus dem Nichts heraus – und blühen auf. Oder sie verkrampfen, ziehen sich zurück und wollen doch nicht auflegen. Weil man doch die Nähe braucht. Weil man doch sonst nichts zu tun hat.
Für dreißig Minuten Spieldauer ist das ganz schön viel Erkenntnis über den paarungswilligen Menschen im gelockerten Lockdown. Zugleich macht „zeitfüreinander“ auch eine zentrale Leerstelle deutlich: Da spielen Künstler vor einer Webcam, die eigentlich auf die Bühne gehören, dorthin, wo wir sie lieben. Dieses echte, wirkliche Theater, die unhygienische Bühne mit all der fehlenden Distanz und dem Schweiß und der Spucke – sie ist nicht zu ersetzen.
Das schmerzt, aber es ist kein Grund, den Bildschirm auszuschalten. Das digitale Flirtspiel führt uns Theaterverrückten vor Augen, was auch in dieser Situation vom Wesenskern des Theaters bleibt, Corona hin oder her: schüchterne, peinliche, mutige, trotzige, selbstverliebte, freche, komische Menschen, eigenartig und einzigartig. Und wenn der ganze Wahnsinn einmal vorbei, der Impfstoff gefunden und das Klopapierregal wieder aufgefüllt ist, dann bleibt von dieser Zeit vielleicht genau das: wie wir damals mit vollem Weinglas der kleinen Kamera am Laptop zugeprostet haben.