Foto: Plakat zur Produktion der Handle Bards © The Handle Bards
Text:Andreas Falentin, am 13. Mai 2022
Es ist wieder Shakespeare-Festival in Neuss. Nach der Absage 2020 und der abgespeckten Open-Air-Version „Shakespeare Garden“ im letzten Jahr wird endlich wieder das Globe auf dem Rennbahngelände unter der neuen Leitung von Maja Delinić einen knappen Monat lang bespielt.
Fast, funny and fearless
Seit 2016 sind die HandleBards aus London eine feste Konstante des Festivals. Als „fast, funny and fearless“ bezeichnet die Truppe ihren Shakespeare-Zugang – und hat man eine ihrer Vorstellungen gesehen, kann man das nicht anzweifeln. Dieses Jahr sind sie mit „Twelfth Night“ in Neuss zu sehen, einer Produktion, die den HandleBards 2013 in Großbritannien den Durchbruch beschert hat. Ursprünglich für vier männliche Schauspieler konzipiert, hat sich die Inszenierung von James Farrell im Lauf der Jahre entwickelt und wurde auch von Michael Collier sanft überarbeitet.
Die Bühne ist leer bis auf einen zwei Meter breiten, bunten Zwischenvorhang hinten in der Mitte für Umzüge, Auf- und Abtritte. Roisin Brehony, George Attwell Gerhards, Eddie Mann und Bronte Tadman spielen, natürlich in englischer Sprache, 14 Figuren und schaffen es, dass manchmal sechs gleichzeitig auf der Bühne anwesend sind. Sie tragen Hemd, kurze Hose, Hosenträger und Kniestrümpfe, jeder in einer anderen Farbe, die HandleBards-Tracht. Durch Kostümteile (entworfen von Connie Watson) und Accessoires verwandeln sie sich, oft sekundenschnell, von einer Figur in die andere, wobei sie, versteht sich, nie illusionistisch vorgehen. Vielmehr befördert die Interaktion mit dem Publikum auf etlichen Ebenen, inklusive Rekrutierungen einzelner Zuschuer:innen für Bühnenaktionen, sowohl die Lebendigkeit als auch die Doppelbödigkeit ihres Spiels, das sich zudem in perfektem Miteinander abspielt. Und wer in neuer Rolle die Bühne betritt, betätigt, warum auch immer, seine persönliche Fahrradklingel.
Auf allen sinnlichen Kanälen gesendet
Das Ganze ist für den deutschen Theaterkritiker durchaus sehr besonders: Keine Diskurse, keine Interpretationen, keine Dekonstruktionen. Nicht einmal klassisches Story-Telling. Und trotzdem Schauspielkunst auf sehr hohem (auch Reflexions-)Niveau und in keinem Moment von gestern. Diese „Twelfth Night“ ist einfach eine fröhliche Reise durch ein klassisches Stück, ein explizit von heute gedachtes Erleben und Vermitteln von Fabel und Figuren, das aber dem Publikum nie die Arbeit abnimmt, sich alles im Kopf neu zusammenzusetzen. Dabei wird auf allen sinnlichen Kanälen gesendet, wird hinreißend und gar nicht verzopft gesungen und getanzt, bordet die Spielfreude und Energie immer wieder über. Dies geschieht aber nie unkontrolliert, was man daran erkennen kann, dass die Aufführung immer genau dann in die Groteske hochgetrieben wird, wenn Sentimentalität droht oder, weit gefährlicher, das Ausrutschen auf Klischees.
In Deutschland ist gerade „Was ihr wollt“ oft in Pseudo-Melancholie ersäuft oder durch Versachlichung nivelliert worden. Bei den HandleBards ist alles da. Nichts schnurrt routiniert ab, nichts wird bewertet. Der Schnorrer ist eben ein Schnorrer – vielleicht muss es die ja auch geben –, der Verklemmte ist verklemmt und dadurch eben angreifbar. Das Mitleid hält sich in engen Grenzen. Überdruss und Langeweile, die durchaus auch durch Shakespeares Text irrlichtern, haben hier keine Chance.
Das Neusser Publikum bejubelt die nicht übertitelte Aufführung im vollen Globe lange. Die HandleBards bieten kluges und unterhaltsames Theater. Sie bieten erfolgreiches Theater – mittlerweile haben sie in der Sommersaison – eigentlich ist die Gruppe auf Open-Air-Theater spezialisiert – zwischen 80 und hundert Vorstellungen alleine in Großbritannien. Und sie bieten nachhaltiges, umweltschonendes Theater. Denn die Wege zwischen den Aufführungsorten legen sie grundsätzlich (der Name deutet es an: „Handlebar“ meint Fahrradlenker) auf Fahrrädern zurück, mit denen sie auch ihre Ausstattung transportieren. Vor allem aber steht die Londoner Truppe für ein Theater, das es in Deutschland eben so nicht gibt: Echtes Volkstheater, das sich aus der Beschäftigung mit und der Liebe zu alter Literatur speist und in der Lage ist, diese geradezu viral weiterzugeben.
Am 2. und 3. Juni kommen die HandleBards noch einmal nach Neuss – mit „Romeo and Juliet“.