Josefin Fischer steht allein auf einer schaurig ausgeleuchteten, mit Nebel durchzogenen Bühne. Es ist nur ihre Silhouette zu erkennen. Auf ihrem Kopf lassen sich Hörner und Ohren einer Ziege ausmachen.

Endzeit in Giftgrün

Theresia Walser: Die Erwartung

Theater:Theater Freiburg, Premiere:08.02.2025 (UA)Regie:Peter CarpKomponist(in): Jan-Peter E. R. Sonntag

Maximal unheilvoll zeichnen Regisseur Peter Carp und Bühnenbildner Kaspar Zwimpfer die Bühne am Theater Freiburg: Bei der Uraufführung von Theresia Walsers Stück „Die Erwartung“ bereitet sich eine bunt gemischte Truppe grimmig auf das Ende der Welt vor. Was bleibt, wenn alles aussichtslos scheint?

Bevor er nach acht Jahren Intendanz an Felix Rothenhäusler übergibt, verabschiedet sich Peter Carp vom Freiburger Theater mit einer letzten Regiearbeit. Für die musste der 69-Jährige, der als „Weltempfänger “ neue Handschriften von Ewelina Marciniak bis Yair Sherman und Amir Reza Koohestani ins Breisgau gelotst hatte, nicht weit suchen: Dramatikerin Theresia Walser lebt ganz in der Nähe und ließ sich ein auf Carps Idee: Was, wenn sich alle auf die finale Katastrophe vorbereiten – die aber ausbleibt?

Die Uraufführung der „Erwartung“ mag die eigene Prämisse nicht ganz erfüllen, war aber ein würdiger Abschied auf der fast leergeräumten Bühne des Großen Hauses, die Carp und sein langjähriger Partner Kaspar Zwimpfer auf maximal unheilvoll gestellt haben: Nur ein paar Warnbaken blinken im giftgelben Nebel und eine schmerzhaft laute Soundinstallation (Jan-Peter E. R. Sonntag) verdaut Zivilisationsgeräusche, bis auch die Bratsche nicht mehr tröstet. Ein Standbild-Ballett aus Hausinventar spielt hoch oben mit der Erwartung, dass hier bald „Häuser wie Papiertüten“ durch die Luft fliegen.

Bunte Endzeit-Truppe

Auftakt, Wende und Ende gehören einer Ziege, die Josefin Fischer in Karoanzug und Geißbart geschmeidig staksen lässt: Mit Bockhuf und wissend gemeckerten Visionen ist sie Erzählerin und mythische Begleiterin, die das Spiel wie einen Traum genießt. Walser schickt eine bunt karikierte und teilbeschädigte Truppe zum Notfallbunker. Ada (Angela Falkenhan) hat gerade mit dem Handy am Ohr Papiere ihrer Versicherung abgestoßen („Nach uns die Sintflut!“), weil am Vorabend der Apokalypse mit Katastrophenschutz nichts mehr zu holen ist. Ihr Mann Ron (Martin Hohner) hinkt mit Gipsfuss und kippt leicht hysterisch aus seiner Beamtengewissheit. Den Rollstuhl ihres zeternden alten Vaters müssen alle mal bewachen. Die verspulte Naturbloggerin Laura (Laura Palacios) rettet lieber Motten und zählt ihre Follower. Fürs Clowneske sorgt ein Trio, das am Ende kaum noch Funktion hat: Der wenig schrille Conni (Thieß Brammer) mit ausgeschlagener Zahnreihe, der halbseidene Bardi (Martin Müller-Reisinger) und Möbelverkäufer Karem (Raban Bieling), der sich an sein Köfferchen krallt. Zurück bleibt ein Prepperpärchen, das seine Vermieter Ada und Ron als „Katastrophenamateure“ verachtet und die Ruhe weghat: Elly empfängt „Anweisungen“ aus der Steckdose und Eddy schwitzt in Survivalweste Fremdenhass aus.

Erbarmungslos ausgeliefert?

Walsers Text ist bissig und pointenreich und macht mit oft stilisierter Sprache klar: Heute gibt es weder Reality-TV noch Psychologencouch. Die Endzeiterwartung setzt zwar nicht das Beste in den Menschen frei, es gibt aber auch keine orgiastische Entgrenzung. Alle sind zu sehr mit sich und den eigenen Verletzungen beschäftigt. Krisensolidarität? Pustekuchen, vor dem Sturm lassen alle einander im Stich. Ron verkauft den Preppern („unsere Untergeschossler“) noch höhnisch den Garten. Den Alten vergessen sie unter der Brücke, Karem im Irgendwo. Es geht in beziehungsreichen, wirkungsvollen Anekdoten um Gier, Konsum und Egoismus. Doch kann Carps zurückhaltende Figurenregie nicht verhindern, dass es im Bunker etwas aufsagehaft zugeht – die Dramaturgie hängt mit der Zeit etwas durch.

Dann die Antiklimax: Der Zyklon, so groß wie „halb England“, hat auf dem Meer überraschend kehrtgemacht. Ratlosigkeit macht sich breit. Insekteninfluencerin Laura steht im Shitstorm ihrer Follower. Sie werfen ihr vor, mit Panik für Klicks gesorgt zu haben. Ada hat ihre Versicherungs-Wette verloren. Die abgestoßenen Papiere machen riesige Gewinne, während ihre Schulden bleiben. Doch ringt das Stück nun mit der selbst geschürten Erwartung. Denn eigentlich sollte das Gedankenspiel jetzt so richtig spannend werden. Doch schon Ron und Adas Handybotschaft an ihre Kinder ist ein Replay ihrer gegenseitigen Abrechnung.

Doch Walser dreht noch einmal auf: Die nun dauergrillenden Prepper begrüßen die „Katastrophenkumpel“ höhnisch im Garten. Eine boulevardeske Pointe („Bauerwartungsland!“) löst wie im Oscar-Gewinner „Parasite“ einen archaischen Showdown sozialer Umkehrung aus, der im Stroboskoplicht einfriert. Eigentlich ein fulminant anschwellender Bocksgesang, wären die fugenhaft verzahnten Hassrufe („Katastrophenpack“ – „Verrecken!“) präziser zu verstehen und die Szene auf der riesigen Bühne nicht doch sehr weit weg. Am Ende bleiben zwei Gewissheiten: Der Mensch bräuchte keine Katastrophen, um sich zu erledigen – und er erwartet stets die falschen.