Foto: Überzeugend: Hannelore Bähr als "Frau Bürckel" © Pfalztheater/Thomas Brenner
Text:Björn Hayer, am 2. Oktober 2020
Kann man ein Scheusal lieben? Und wenn ja: Ist man dann selbst ebenfalls eines? Was nach einer Charakterfrage klingt, birgt in Peter Roos‘ Stück „Bürckel! – Frau Gauleiter steht ihren Mann“ eine historische Dimension, die in die Zeit des Nationalsozialismus zurückreicht. Wir befinden uns in der pfälzischen Provinz. Einst war dort Josef Bürckel der titelgebende Regionalfürst, seines Zeichens fanatischer Hitler-Anhänger, dessen Entscheidungen tausende Juden das Leben kosteten. In Susanne Schmelchers Uraufführung steht jedoch weniger der Agitator im Vordergrund als seine Frau Hilde. Nachdem er 1944 starb, musste sie sich in den besetzten Zonen durchschlagen.
Um tief in die Irrungen der kleinbürgerlichen Wirtshaustochter, die durch die Heirat eines Nazi-Eliten zu fragwürdigem Ruhm gelangte, einzutauchen, hat der Autor einen Monolog gewählt. Mal beklagt die Protagonistin, gespielt von einer exzellenten Hannelore Bähr, die Affären ihres Mannes, mal zeigt sie sich voller Stolz über all die Liebesbriefe fremder Frauen an ihn, mal beschwört sie widerlichen Antisemitismus herauf, mal bekennt sie insgeheim ihre Scham. Ihre Selbstlüge lautet: „Ich war doch immer privat“, ihr Eingeständnis: „Mir graut vor mir“.
Obgleich der Text präzise die Widersprüche einer Mitläuferin offenlegt, ja, all ihre Verachtung, ihren Zorn, ihre Verzweiflung und perversen Versuche der Schuldumkehr, nach der die Zeit der Entnazifizierung sie zur eigentlichen Jüdin gemacht habe, zum Ausdruck bringt, läuft sich das Selbstgespräch rasch leer. Kompensativ dazu brillieren in der Inszenierung am Pfalztheater in Kaiserslautern Schmelchers Regie und das Bühnenbild von Marion Hauer. Als Kulisse dienen mit einem Waldmotiv bespannte Holzrahmen. Sie verweisen auf Hildes und Josefs Waldhütte, ein Refugium seliger Ruhe abseits des politischen Alltags. Nur allzu gern knüpft die Protagonistin in ihrer Rückschau auf ihre Ehe an diese Idylle an. Und da die Vergangenheit ohnehin kaum auszuhalten ist, malt die Negativheldin betulich immer wieder mit grüner Farbe die Nadelbäume aus. Doch die Wände dieses vermeintlichen Fluchtraums sind von Anfang an brüchig. Je länger die Protagonistin mit sich ringt, desto mehr reißt sie die Stofftapeten herunter. Mag sie sich sprachlich immer wieder selbst korrigieren und vom Pfälzischen ins Hochdeutsch wechseln – die Wirklichkeit lässt sich dadurch jedoch nicht mehr verändern. Sie bricht förmlich durch die zuletzt offenen Holzrahmen hindurch. Und als gäbe es im hinteren Bühnenrand keine Zuhörer, spricht sie die beschämenden Wahrheiten um die eigene Schuld mit dem Rücken zum Publikum in das dunkle Nichts.
Gerade in einer Epoche wieder erstarkender Nationalismen und rechter Ideologien gleicht das Stück einem theatralischen Mahnmal. Es dekonstruiert die Mechanismen von Verdrängung und Relativierung und diskutiert einhellig die Notwendigkeit kollektiver wie individueller Verantwortung. Beinah hätte man sich an der Zeitlosigkeit der Darstellung erfreut, gäbe es nicht eine etwas plumpe Aktualisierung. Über die auf der Bühne allpräsenten Lautsprecher ertönen nämlich nicht nur Originalaufnahmen von Hitler oder dem Gauleiter Bürckel, sondern an zwei Stellen auch Aufnahmen von Bernd Höcke. Bedurft hätte es dieses dramaturgischen Zeigefingers nicht. Aber geschenkt! Am Ende dieses Abends bleibt ein elementares Unbehagen, ein Vakuum, das aus einer fehlenden Identifikation mit der Protagonistin resultiert. Und das ist richtig und wichtig.