Zunächst einmal werden alle Zuschauer zum „Künstler“ gemacht; jedenfalls bekommt jeder ein entsprechendes Textklebeband aufgebappt – Joseph Beuys lässt grüßen und kommt später auch per Bildschirmen zu Wort. Der Weg zum Aufführungsraum führt dann durch ein buntes Interieur in verpopptem Biedermeier, in dem lebensgroße Puppen leblos herumliegen. Wer die beteiligten Komponisten von Angesicht kennt, den beschleicht ein heiterer Verdacht, denn die Puppen haben eine schräge Ähnlichkeit mir Karola Obermüller, Georg Kratzer, Annette Schlünz und Peter Gilbert – Sergej Newski, der fünfte im Bunde, begegnet einem dann im eigentlichen Zuschauerraum. In dem von Georg Kratzer komponierten Teil finden diese Puppen dann tatsächlich Verwendung in einem per Live-Kamera auf Bildschirme im Zuschauerraum übertragen Slapstick, bei dem die vier Sänger mit den Komponisten-Doppelgängern Szenen aus Schumanns Düsseldorfer Hausstand travestieren.
Den Zuschauerraum hat Christoph Ernst ausgestattet wie ein wirres Requisitenlager: Auf Stellagen liegt Plunder aller Art, von altmodischen Kaffeekannen über Bastkörbe und zerlegte Schaufensterpuppen bis hin zu einem braunen Zottelbärenfall. Eine Bühne ist aufgeschlagen, seitlich sitzt das Orchester, die Zuschauer nehmen inmitten des Durcheinanders auf flachen, teppichbelegten Treppentribünen Platz und hören zunächst ein Interview, in dem sich der hochmusikalische Philosoph Theodor W. Adorno über die dialektischen Ambivalenzen der bürgerlichen Gesellschaft und ihres Kulturbetriebs seine Gedanken macht. Adorno schließt angesichts dieser Ambivalenzen mit einem Grabbe-Zitat: „Denn nichts als Verzweifelung kann uns retten“. Das ist das Motto des Abends, stimmt aber nicht ganz, dann ein Teil des Publikums, es mochte wohl knapp die Hälfte sein, rettete sich durch Flucht bei laufender Vorstellung vor der Verzweifelung. Die anderen bereisten (in biographisch verkehrter Reihenfolge) mit den fünf Komponisten die Lebensstationen Leipzig, Düsseldorf, Zwickau, Bonn und Dresden, die aber allenfalls in Angermanns oft schlecht verständlichen Texten, kaum in den szenischen Aktionen der vier Sänger kenntlich wurden.
Den Kompositionen war der Exodus der Zuschauer sicher nicht zuzuschreiben. Carola Obermüllers tänzerisch belebter, irisierend funkelnder Orchestersatz, Tobias Kratzers wild gezackte Texturen, das interessant zerfaserte Lineament von Annette Schlünz zu expressiven Kantilenen, schließlich Peter Gilberts düster brodelnde Klangwolken, aus denen unversehens Schumanns Lied „Der Nussbaum“ hervortrat, selbst Sergej Newskis etwas hemdsärmelig montierte Klanglandschaft, die durch ein elektrisches Tranchiermesser, eine Kettensäge und einen Laubbläser bereichert wird – was das kleine Kammerorchester und das Gesangsquartett mit der ausstrahlungsstarken Mezzosopranistin Hanna Dóra Sturludóttir, dem Countertenor Roland Schneider, dem Tenor Andrew Zimmermann und dem Bassbariton Nicholas Isherwood unter der umsichtigen Interpretation von Wolfgang Lischke da sehr versiert vortrug, konnte sich wahrhaftig hören lassen. Die szenischen Aktionen dagegen waren so grell wie verworren. Und der leberwurstbeleidigte Predigerton, mit dem Julian Blaue sein Leid an der Vergoogelung der Welt, an der Verwertung dieses Leids durch die Kreativwirtschaft im allgemeinen und die Inszenierung im besonderen beklagte, war schlicht enervierend – noch enervierender aber war die unendlich öde Onanier- und Sudelorgie mit roter Farbe, die zur „Zwickau“-Musik von Annette Schlünz offenbar Schumanns adoleszente Hormonschübe und Samenergüsse versinnbildlichen sollte.
Natürlich steckte hinter alledem – ein Konzept: Von zur Mühlen und Blaue wollten das Problem thematisieren, dass die künstlerische Äußerung schon in dem Moment, wo sie ihre gesellschaftliche Rezeption findet, auch dem gesellschaftlichen ökonomischen und medialen Verwertungszusammenhang zum Opfer fällt und damit immer in Gefahr ist, sich korrumpieren zu lassen. Kunst ist ja immer Entäußerung, aber schon die Entäußerung in eine Form kann den Keim der Entfremdung in sich tragen – ein Problem, das bereits Schiller statt in eine ausladende Theateraktion in den schönen schlichten Spruch fasste: _„Spricht_ die Seele, so spricht ach! schon die _Seele_ nicht mehr.“ Gegen diese Dialektik begehren sowohl Blaue wie auch von zur Mühlen mit ihrer Verweigerung des Kunstvollen auf. Nur es ist aber ja beileibe nicht so, dass nicht die moderne Kunst- und Kommunikationstheorie auch Lösungen für diese Aporie diskutierte – auf dem Niveau von Blaues Tiraden aber sind die definitiv nicht zu finden. Man hatte eher den Eindruck, dass von zur Mühlen und Laue viel zu verliebt in ihre eigenen Verweigerungshaltung waren, um wirklich Kunst zu wollen. Eine solche Denkverhinderung aber hat Adorno nicht, die Komponisten nicht diese Musikverhinderung und Schumann wahrlich nicht eine solche Theaterverhinderung verdient.