Foto: "Die Kränkungen der Menschheit", v.l.n.r.: Jean Chaize, Hayato Yamaguchi, Joana Tischkau, Kinan Hmeidan, Vincent Redetzki © Gabriela Neeb
Text:Jens Fischer, am 4. Mai 2020
Dass das Theatertreffen auch ganz anders kann, als bemerkenswert gute Dramentexte in bemerkenswert präzise interpretierenden Inszenierungen zu zeigen, beweist der dritte zum Streamen freigeschaltete Aufführungsmitschnitt der diesjährigen Online-Ausgabe des Festivals: „Die Kränkungen der Menschheit“, eine Produktion von Anta Helena Recke von den Münchner Kammerspielen.
Tänzer nehmen die Bühne ein und spielen Primaten. Lausen sich, kreischen, lachen, gähnen und wackeln im halb aufrechten Gang herum. Tun auch mal so in einer großen Museumsvitrine, als ob sie ein imaginäres Bild angucken. Bis ein Wärter Gemüse verfüttert. Damit sind dann schon mal 20 Minuten, ein Drittel der Performance, erledigt. Ohne als Bild, mit Sprache, Musik oder Tanz irgendwie Anregungen versendet zu haben, die Lust aufs Drauflosdenken wecken. Was tun? Mal ins Programmheft geschaut, das als PDF zur Übertragung mitgeliefert wurde und das auf die von Sigmund Freud beschriebenen Kränkungen des „naiven menschlichen Narzissmus“ Bezug nimmt. Demnach könnte die Aufführung im Angesicht der Primaten daran erinnern, dass die Menschheit nicht krönend schlaues Unikat einer dumm geschöpften Natur ist, sondern eben evolutionär mit Affen verwandt, ein Tier wie alle anderen. Aber man kann natürlich auch alles andere denken, was einem so einfällt, wenn Menschen den Affen machen. Oder diese Show als Ersatzangebot rezipieren, weil gerade die Zoos Corona-bedingt geschlossen sind.
Etwas konkreter wird Recke, wenn Schauspieler als bildungsbürgerliche Museumsbesucher auftreten, denen eine sachlich öde Bildbeschreibung aus dem Off zugespielt wird von Gabriel Cornelius von Max‘ „Affen als Kunstrichter“ (1889). Zu hören ist, dass darauf Affen abgebildet seien, die auf einer Holzkiste sitzen und ein Gemälde betrachten, das nicht zu sehen ist. Wer mag, kann nun die vorherige Szene in der Museumsvitrine als angedeutetes Nachstellen dieser Bildkomposition behaupten, also den Wechsel der Perspektiven als Thema ausmachen. Aus der Sichtweise der Affen wird ein Kunstwerk betrachtet, aus der des Malers diese Szene fixiert, die die Darsteller nun betrachten, während die Theaterzuschauer alles beäugen. Aber das reicht natürlich nicht für die vielleicht angepeilte philosophische Analyse, dass jedwede Wahrnehmung subjektive Konstruktion von Realität ist, die die Normen der eigenen Kultur spiegelt.
Immerhin werden noch Folgen kritisch verdeutlicht. Wenn die Museumbesucherdarsteller so tun müssen, als schauten sie ein Video von Araya Rasdjarmrearnsook, in dem thailändische Bauern mit Kunstwerken der europäischen Hochkultur konfrontiert werden, fallen politisch unkorrekt abschätzige, selbstgefällige Bemerkungen über Wildnis und die Primitiven, die einen van Gogh doch gar nicht verstehen könnten. Da diese Szene geradezu kabarettistisch verhöhnend angelegt ist, soll wohl behauptet werden, dass der eurozentrische Blick auf die Welt nicht das Maß aller Dinge ist. Um es noch deutlicher zu machen, erschrecken die Darsteller in stummen Schreien, als plötzlich Frauen nichteuropäischer Kulturen über die Bühne prozessieren. Sie nehmen diese sozusagen der deutschen Hochkultur weg, die Schauspieler reihen sich im Parkett in die Publikumshaltung ein. Das soll nun, wenn ich die Programmhefttexte richtig verstehe, die jetzt nicht von Freud, sondern von Recke behauptete „Kränkung der Menschheit“ sein, die aber schlimmstenfalls die Desillusionierung der alten, weißen, christlich geprägten Männer der westlichen Welt ist, nicht im Mittelpunkt der Welt zu stehen.
Das und noch viel mehr kann als Inhalte auf die Performance projiziert werden, die gern hochschwellig sein will, aber leider nur eine ärmliche Folge dreier schlichter Bilder bietet: putzigen Affen-Naturalismus, Abwatschen der Kulturschickeria, Auftritt eines diversen Teams People of Color. Mehr ist einfach nicht. Läppisch. Gerade wenn man etwa an Performances der ivorisch-deutsch-französischen Künstlerschar um Monika Gintersdorfer denkt, in denen europäische und afrikanische Perspektiven nachvollziehbar auf der Bühne erkundet und diskursiv durchgespielt werden, es wirklich zu einem interkulturellen Austausch kommt. Man live beim Denken zuschauen und es auch beim Tanzen erleben kann. Recke bedient eher Konzeptkunst, in der eben die zum Konzept verdichteten essayistischen Überlegungen das Kunstwerk sind, nicht die theatral installativen Ausformulierungen. Ein solch blässlich sperriges Abbild zum Theatertreffen einzuladen, das irritiert schon. Die nur zu Archivzwecken entstandene, recht wirr geschnittene Videoaufnahme hilft dem Abend auch nicht weiter.