Foto: "Süßer Vogel Jugend", hier mit Michael Pempelforth, Julia Preuß und Andreas Dyszewski © Rolf Arnold
Text:Jens Fischer, am 6. Mai 2020
Junge drahtige Männer mit Rock-’n‘-Roll-Tolle und fett-feiste Väter mit Cowboyhut und -stiefeln, Aufbruchsstimmung versus patriarchales Machotum. Hinzu gesellen sich zwischen Keuschheitsgebot, Lebenslust und der Aussicht auf ein hausfrauliches Ehegefängnis neurotisch werdende Töchter. Es rumort in den US-Südstaaten, White-Supremacy-Treibhaus in den 1950er Jahren. Es war einmal. Lohnt ein Blick zurück im Zorn? In Mitleid? Schmunzelnd? Nein, nicht nur im Trump-Land kriecht diese Geisteshaltung aus den Sümpfen unaufgeklärten Denkens wieder schamlos in die Öffentlichkeit, mag Claudia Bauer gedacht haben – und inszenierte zum Beweis Tennessee Williams‘ grelles Melodram „Süßer Vogel Jugend“ 60 Jahre nach der Uraufführung am Schauspiel Leipzig. „Ihre schonungslosen Scharfzeichnungen voll Härte und Bösartigkeit werden umso gefährlicher, je lächerlicher sich die Figuren entlarven“, jubelte die Jury des Theatertreffens und lud die Produktion nach Berlin ein. Wegen Corona zeigt das Festival nun einen zur Dokumentation angefertigten Mitschnitt der Premiere, die Tonspur klingt leider arg blässlich und die Bilder vermitteln kaum einen Eindruck vom Spiel im Raum, aber das hochgeputschte Energielevel des Abends ist sehr gut eingefangen.
Es geht um Jugendlichkeits- und Schönheitswahn, Schauspielkunst, Sex, Rassismus und den weltweit fantasierten amerikanischen Traum, reich und berühmt werden zu können, selbst wenn man aus einem Provinznest kommt wie St. Cloud, Florida. Der Autor arbeitet mit solch sprechenden Namen, der junge Held etwa heißt Chance, bekommt aber keine. Als begabter Autor, Schauspieler, Regisseur und mit James-Dean-mäßiger Coolness war er als Kleinstadt-Beau einst von allen Mädchen begehrt, zog aber aus in die Hollywood-Welt, um Karriere zu machen. Weiter als bis zum Bademeister, der nach Dienstschluss ältere Damen mit mehr als nur Massagen beglückt, hat er es aber nicht gebracht. Ein Prostituierter. Nun kehrt er heim als Sextoy im Gepäck der alternden Diva Alexandra del Lago, gockelt aber großkotzig mit seinen Lügengeschichten vom wilden, erfolgreichen Leben herum und will so seine Jugendliebe zurückerobern, bei der er noch einen Funken Wahrheit, Authentizität, Liebe vermutet. Mit ihr ließe sich der entfleuchende süße Vogel Jugend noch einmal zurückholen? Das Heavenly genannte Objekt der Begierde ist Tochter eines rechtspopulistischen Lokalpolitikers. Höchst aktuell. Wie er die Kastration eines Schwarzen offiziell missbilligt, aber sagt, die Haltung dahinter zu verstehen, die angebliche Angst vor der „Verunreinigung“ des weißen Blutes, ist ganz aus der Art der heute von AfD und Donald Trump bekannten Sprachspiele, mit denen sie nicht offen als Rassisten dastehen, gleichzeitig aber diese Haltung befördern wollen. Denn der Boden dafür ist fruchtbar auch in der von Bauer dumpf vereinzelt, panisch erregt inszenierten Gesellschaft, die sich von den Segnungen des Kapitalismus ausgesperrt fühlt und ihre Frustration reflexartig in Aggression überführt. Da ist Chance als angeblicher Künstler sowie einstiger Verführer Heavenlys und Syphilis-Überträger für die Dorfbevölkerung ebenso ein Hassobjekt, das entsorgt und kastriert gehört, wie es alle People of Color sind.
Im Zentrum aber steht der Kampf gegen das Altern – ein fesselndes Wortgefechts-Duell zweier sich gegenseitig erniedrigenden Bestien. Die von Anita Vulesica haltlos exzessiv gespielte Diva hat Geld, Reste von Berühmtheit, tröstet sich mit Drogen, Sex, Zynismus über den körperlichen Verfall und den Karriereschwund hinweg. Der von Florian Steffens haltlos angeberisch gespielte Chance blendet sich selbst mit seiner Anmutung von Jugend, Sexyness und Potenz, seinem einzigen und bereits schwindenden Kapital, erniedrigt die Diva als „Fleischklumpen“, will als ihr Protegé aber doch noch eine Filmrolle bekommen. Zwei trostlos Gescheiterte auf dem Friedhof des amerikanischen Traums.
Was hinter den Fassaden der Selbstinszenierungen und Lebenslügen so passiert, bleibt leider meist im Dunklen. Lächerlich kauzige Brüllaffen sind häufig zu erleben, wütend rasen sie, stehen kurz vorm Platzen. Lustig wirkt das, die rechtsradikale Gesinnung nicht gefährlich. Nur die mal flennende, mal höhnende Heavenly (Julia Preuß) und Alexandra del Lago vermitteln jenseits des Sarkasmus auch ihre Einsamkeit, innere Kälte, Leere und Verzweiflung. Chance ermöglicht erst zum Finale einen Moment der Empathie, als er auf die Frage, was könntest du sein, mit bockiger Resignation „nichts“ antwortet.
Insgesamt serviert die Aufführung mit körperlich kraftvoll überdrehtem Spiel eine bis in Kreischorgien eskalierende Groteske. Zwar immer nah am Stücktext, aber eben auch abfällig oberflächlich in der Figurenzeichnung. Ästhetisch nichts Neues im Post-Castorf-Theater und dem Œuvre Claudia Bauers.