Foto: Filmstill im leeren Theatersaal: Barbara Nüsse, Karin Neuhäuser und Josef Ostendorf © Martin Prinoth
Text:Barbara Behrendt, am 29. März 2020
Um es gleich vorwegzunehmen: Dieser kleine Film ist das Bezauberndste, was ein Theater in der Corona-Krise bislang auf seinen digitalen Kanälen in die Welt geschickt hat. Noch dazu gelingt Regisseur Antù Romero Nunes das Kunststück, dem Theater via Kamera eine stürmische Liebeserklärung zu machen – unterhaltsam, komisch, voller Lust am Spiel und an der Verwandlung.
Seitdem die Theater geschlossen sind, waren auf deren Websites bislang nur halbgare Live-Chats, unausgegorene Wohnzimmer-Performances und eher Dokumentarzwecken dienliche Inszenierungsaufzeichnungen zu sehen. Nunes aber hat „Maria Stuart. Ode an die Freiheit 1“, sein knapp 40-minütiges Schmankerl, ganz bewusst für den Bildschirm konzipiert, nachdem sich herausstellte, dass es zur geplanten Premiere am Hamburger Thalia Theater Ende März nicht würde kommen können. „Als klar wurde, dass wir nicht mehr weiterproben können, haben wir schnell das Format geändert und einfach mit der Kamera weitergemacht“, sagt Nunes in einer Pressemitteilung. „Da sowieso keiner weiß, was normale Proben eigentlich sind, war es total in Ordnung, einfach den Rahmen zu verändern. Auf der Bühne wird es dann wieder anders. In der neuen Zeit.“
Das Konzept hat der Filmemacher und Kameramann Martin Prinoth innerhalb kürzester Zeit zusammengestrickt. Der Film beginnt, ganz klassisch, in der Garderobe. Die beiden Grande Dames Barbara Nüsse und Karin Neuhäuser sitzen gemeinsam vor ihren großen Spiegeln und müssen – vermutlich wurde die Maskenbildnerin schon ins „Home-Office“ geschickt – sich selbst die Gesichter weiß schminken, die Lippen rot. „Ach, ich bin des Lebens und des Herrschens müd’“, stöhnt Barbara Nüsse ihre Rolle als Königin Elisabeth abschmeckend vor sich hin, „muss eine von uns Königinnen fallen, die andere lebe.“ Karin Neuhäuser antwortet als Stuart. Und beide wieder raus aus der Rolle: „Ich will die Lippen nicht so stark schminken, ich hab ja nicht so schöne wie du.“ Zwei alte Hasen, zwei Super-Profis, zwei vertraute Kolleginnen und ihr Theateralltag, wie man ihn sich schöner kaum ausmalen kann. Dann die Verwandlung. Auf der Bühne eine Bank, ein sichtbar halbfertiges Bühnenbild – aber was zählt, ist das Spiel. Nüsse im weißen, historischen Kleidm, mit roter Lockenperücke, müde verhärmtem Gesicht. Neuhäuser kirchenschwarz und hochgeschlossen, weiße Halskrause, blutrote Lippen. Zwischen ihnen ein Picknickkorb, den Elisabeth mitgebracht hat für dieses arrangierte Treffen mit der Stuart – denn, natürlich!, diese prägnante Szene wird gegeben, der Höhepunkt des Dramas: Die Königin von England besucht die Königin von Schottland in Gefangenschaft – um über deren Leben oder Tod zu entscheiden.
Von Machtgefälle, Respekt und Demut keine Spur. Zwei alte Königstrutschen sitzen hier beieinander, keifen und demütigen sich, wie es nur Schrapnellen können, die sich ein Leben lang beneidet, verachtet, gepiesackt haben. Eine Zigarette bietet Elisabeth ihrer Widersacherin noch an – aber als die Stuart nach der Sektflasche greift, zieht die englische Königin ein Dosenbier für sie aus dem Korb. Bananen und Schokolade werden gemampft, während der Streit existenzieller, gefährlicher, skurriler wird.
Die Kamera filmt direkt auf der Bühne, ist den Spielerinnen ganz nah. Versucht zum Glück erst gar nicht, Theater zu simulieren, sondern bleibt immer Film: Schnitte, wechselnde Einstellungen, Musik – alles beste Unterhaltung. Manchmal ein Schwenk in den Zuschauerraum. Dort sitzt Josef Ostendorf in der Rolle des „Zuschauers“, hat seine Sektflasche geöffnet, die er zuvor säuberlich desinfiziert hat, niest vorbildlich in die Armbeuge, fummelt an seinem Handy und lacht schallend in die Szene hinein. Am Ende, das sei verraten, siegt die Freiheit der Stuart auf schönste Art: Kostümwechsel, Seitenwechsel, Rollenwechsel, Schnitt – und Karin Neuhäuser ist wieder lebendig. Als kindisch hochmütige Königin Elisabeth. Daneben: eine verhärmte, deutlich ruhigere Barbara Nüsse als Stuart. So ist das im Theater: Jeder ist ewig und unendlich viele. Und das Theater geht weiter, auch hier, wenn Ostendorf längst aufgestanden und als letzter Zuschauer den Saal verlassen hat.
Der Film ist innerhalb weniger Tage entstanden. Live auf der Bühne soll die komplette Inszenierung aber auch noch zu sehen sein: „Premiere hoffentlich 2020“, heißt es im Abspann. Zuvor ist online am 4. April Nunes’ „Wilhelm Tell: Ode an die Freiheit 2“ zu sehen. In Teil Eins hat der Regisseur jedenfalls wieder gezeigt, dass er mehr Liebe fürs Theaterspiel im kleinen Finger hat, als andere im ganzen Überbau.