Foto: Trotz Corona! Robert Rožić als Vorleser und Teufel © Martin Sigmund
Text:Susanne Benda, am 9. Juni 2020
Mit dem Fahrrad wäre man schneller dort gewesen, wo sonst die großen Stuttgarter Volksfeste stattfinden, aber leider, leider kommt beim Kulturwasen nur rein, wer sein Ticket zum Scannen an die Scheibe eines motorisierten Fahrzeugs hält. Viktor Schoner, der Intendant der Oper, begrüßt das Publikum zur „Weltpremiere auf dem Autowasen“ – und verbessert sich gleich danach. Kulturwasen, das hat er sagen wollen.
Dass Opernfreunde ohne fahrbaren Untersatz bei dieser tatsächlich außergewöhnlichen Veranstaltung ausgeschlossen sind, ist ärgerlich, und auch aus ökologischen Gesichtspunkten ist die Liaison von Kunst und Kraftfahrzeug bedenklich. Aber wie viele andere Kulturinstitutionen drängt es auch die Stuttgarter Staatsoper nach drei Monaten Zwangspause zurück ans Licht der Öffentlichkeit, und die hat sie hier wirklich. Musiktheater im Autokino: Hat es das jemals zuvor einmal gegeben?
Während man eingewunken wird auf den nur spärlich (mit geschätzt 50 Autos) beparkten riesigen Platz, läuft vorne auf der riesigen Leinwand der Trailer zum Film „Bohemian Rhapsody“. Man stellt das Radio auf die Frequenz 106,8, und schon hört man den Sound der Popgruppe Queen, während Rami Malek vorne die Faust genauso in die Höhe reckt, wie es einst Freddy Mercury tat. Danach: Stille. Gleich geht’s los! Wie im Opernhaus sieht man die Musiker nicht, aber man hört, wie sie sich einstimmen: eine vierköpfige Bläsergruppe, dazu eine Geige, ein Kontrabass und Schlagzeug. Der Generalmusikdirektor Cornelius Meister steht selbst am Pult. Zu einem langen Trommelwirbel tritt er auf: Robert Rožić, Ensemblemitglied am koproduzierenden Schauspiel Stuttgart, reckt die Hand empor wie jener Freddy, der eben noch im Bilde war; er steht vor einem kleinen Truck, den die Oper in den nächsten Wochen noch an anderen Orten der Stadt als Wanderbühne benutzen wird.
Kameras machen das Gespielte groß. Man fühlt sich noch ein bisschen weit weg von der Kunst – wie in einer ästhetischen Pufferzone zwischen Live-Kunst und dem Streaming-Overkill der vergangenen Monate. Gegeben wird – Passenderes hätte man nicht finden können – das Stück, das Igor Strawinsky 1917 im Exil am Genfer See komponierte, als die Theater geschlossen waren und die künstlerische Idee einer neuen Einfachheit populär war „Die Geschichte vom Soldaten“ ist eine Moritat für schüttere Besetzung, die auf Motiven russischer Volksmärchen fußt: Ein Soldat verkauft dem Satan seine Geige, die man als Sinnbild seiner Seele nehmen kann, wird im Gegenzug unermesslich reich, gewinnt durch eine List das Instrument zurück – und geht am Ende doch zum Teufel. Besetzt ist das episodische Stück ursprünglich mit einem Vorleser, zwei Schauspielern und einer Tänzerin; mal begleitet die Musik das Gesprochene, mal hat Strawinsky teils grotesk verformte Tanzsätze – Marsch, Ragtime, Walzer, Tango – zwischen die Spielszenen gesetzt. Vor allem rhythmisch und metrisch muss das Schärfe haben, Kante; dafür sorgen Cornelius Meister und Musiker seines Staatsorchesters.
Robert Rožić gibt den Vorleser und den Teufel, außerdem spielt er ab und zu zusätzlich auch noch den Soldaten, und manchmal spinnt er aus allen Stimmen rasante, hochvirtuose Dialoge, auch auf Schwyzerdütsch (Rožić ist Schweizer) oder Französisch. Und auf Amerikanisch (was aus dem Off synchron übersetzt wird), denn zwischendurch ist der wunderbar wandelbare Schauspieler auch ein Popstar. Einer, der wie Freddy Mercury die Hand in die Luft reckt und sagt „I love you“ und „Welcome, Stuttgart“ – und der sich, auch das nicht Genre-untypisch, am Ende mit einem verwirrten „Danke, Düsseldorf!“ und sogar mit ein bisschen lustigem Grönemeyer-Staccato verabschiedet.
Das ist der Rahmen, und der Rahmen ist: Show. Nimmt man die Kostüme von Siegfried Zoller und Maurice Lenhard, dann könnte das Ganze auch eine Revue im Stil der 1920er Jahre sein. Das passt. Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“ hat in ihrem distanzierten Wechselspiel von Erzählen und Zeigen Züge des epischen Theaters, und Maurice Lenhard spitzt dieses in seiner Inszenierung noch zusätzlich zu. Sprich: Die Distanz wird zur Brechung – und das Stück wird komplett durchironisiert. Das macht die Handlung und die Figuren zwar nicht nahbarer, aber so unterhaltsam, dass man selbst die beiden Frauen für einen integrativen Bestandteil der Kunst halten könnte, die mit Bauchladen durch die Reihen schlendern: „Will jemand ein Eis?“
Robert Rožić, der nicht nur Vorleser, Teufel, Popstar und Entertainer, sondern auch den Regisseur auf der Bühne gibt, lenkt seine Mitspielerinnen (Miriam Markl als Prinzessin, Alexandra Mahnke als Soldat), kanzelt beide auch mal ab – und bringt es ab und zu sogar fertig, gleichzeitig zu spielen und das Gespielte zu beschreiben. Zwischendurch geht’s auch mal um Kunst und um Vergänglichkeit, aber das sind kurze Momente. Der Rest ist bunt. Den Zuschauern gefällt’s, sie kurbeln ihre Scheiben herunter, und ein bisschen wird aus den isolierten Insassen mobiler Zuschauer-Zellen dann doch noch eine kleine Erlebnisgemeinschaft.