Foto: Kinder- und Jugendchor des Theater Freiburg, Jenish Ysmanov, Lucie Peyramaure © Britt Schilling
Text:Georg Rudiger, am 30. September 2024
Am Theater Freiburg inszeniert Ulrike Schwab Puccinis „Tosca“ mit ungewohnten Akzenten. Diese Version der Oper birgt einige Ungereimtheiten, die den Verlauf der allzu bekannten Geschichte stören.
Kaum eine Oper ist so szenisch komponiert wie Puccinis „Tosca“. Schon der abrupte Beginn im Orchester mit scharfen Akkorden im Blech und atemlosen Synkopen erzählt von Gewalt und Panik. Im dritten Akt wird das erwachende Rom in Tönen gemalt. Und das Erschießungskommando kommt musikalisch näher und entfernt sich wieder. Emotionen prallen direkt aufeinander: Liebe und Hass, Vertrautheit und Eifersucht auf engstem Raum. Ein psychologisch genaues Kammerspiel mit Schockerpotential. Da kann auch eine konzertante Aufführung extreme dramatische Wucht entfalten, wie man vor einem Jahr im Festspielhaus Baden-Baden mit Sonya Yoncheva in der Titelrolle erleben durfte.
Nun hat sich am Freiburger Theater die junge Regisseurin Ulrike Schwab die Aufgabe gestellt, zum Saisonstart dieser vielinszenierten Oper neue Aspekte abzugewinnen, in dem sie eine kindliche Sicht auf das Drama der Erwachsenen einbaut und so das Geschehen immer wieder bricht. Auf Kosten der einen stringenten Geschichte spielt sie mit vielen anderen Assoziationen. Auch die Ausstattung setzt seltsame Akzente. Dabei geht jede Unmittelbarkeit verloren. Und auch die Glaubwürdigkeit, die im Verismo so wichtig ist.
Bühne auf der Bühne
Schon die vorgeschaltete stumme Szene nimmt dem Opernbeginn die Wucht. Ein paar Kinder klatschen sich ab auf der zugestellten und vollgehängten Bühne. Ein Langhaariger, der sich später als der verfolgte Angelotti (markig: Jin Seok Lee) entpuppt, steht an der Rampe und schaut ins Publikum. Irgendwann beginnt im Orchestergraben die Musik. Die von Puccini komponierte Panikattacke, die das Philharmonische Orchester unter Generalmusikdirektor André de Ridder plastisch modelliert, verliert sich im wenig definierten Setting – ein sich verjüngender Raum, der an den Außenseiten von zwei Scheinwerfern flankiert wird. Eine Bühne auf der Bühne, die wenig Platz zum Agieren lässt, weil überall verhüllte Skulpturen, Bilderrahmen und sonstiges Mobiliar herumstehen.
Juan Orozco, Junbum Lee. Foto: Britt Schilling
Hier gibt es einen Mann mit Shorts, Glitzerjacket und Kniestrümpfen, der auch mal auf dem Boden herumkrabbelt (als Mesner nicht immer intonationssicher: Yunus Schahinger). Der Maler Cavaradossi trägt Dutt. Tosca kombiniert Leder mit Mieder und Puffärmel und hat im olivgrünen Wanderrucksack eine Madonnenfigur auf dem Rücken. Das Ganze wird beobachtet von Kindern, die mal kauern, tanzen oder auch durch die Szenerie latschen. Echte Interaktion entsteht wenig zwischen den Opernfiguren. Auch Cavaradossi und Tosca schauen sich kaum an.
Die musikalische Leitung
Mehr Emotionen, aber auch Zwischentöne gibt es zu hören. André de Ridder setzt auf ein rundes, ausgewogenes Klangbild, das auch mal scharfe Konturen zeigen kann, wenn Toscas Eifersucht auflodert oder der Polizeichef Scarpia seine dunkle Persönlichkeit offenbart. Ridder lässt die Musik atmen, schafft große Melodiebögen und wahrt immer die Balance zwischen Bühne und Orchestergraben. Nur im Detail ist noch Luft nach oben – die Tonwechsel der Streicher sind nicht immer kongruent mit der Melodie der Solisten, besonders auffällig in Cavaradossis Arie „E lucevan le stelle“, die Jenish Ysmanov im letzten Akt mit vielen Nuancen und leuchtenden Spitzentönen anreichert. Wie überhaupt der kirgisische Tenor die lyrische Seite Cavaradossis zum Klingen bringt, ohne dabei kraftlos zu werden.
Auch die Französin Lucie Peyramaure vereint in ihrem reichen Sopran Wärme und Prägnanz. Immer wieder mischt sich ein dunklerer Farbton in ihre dramatischen Passagen, was die von der Regie so rätselhaft behandelte Figur zumindest musikalisch stärkt. Der grausame Polizeichef Scarpia ist in Freiburg ein Dandy mit weißer Matte. Juan Orozco singt ihn mit gestähltem Bariton und großer Durchschlagskraft. Scarpias Gewaltfantasien zelebriert er am Ende des ersten Aktes mit Emphase, während er ein als Tosca gekleidetes Kind umfasst. Das Te Deum dazu wird vom Opern- und Extrachor des Theaters Freiburg (Leitung: Norbert Kleinschmidt) mit geradezu schmerzender Lautstärke vom Rang geschmettert. Die Kinder (Kinder- und Jugendchor: Elisa Brunnenkant) auf der Bühne erstarren.
Von Tosca zur Madonna
Nach der Pause gehen die Ungereimtheiten der Regie weiter, wenn auch die Produktion mehr Sogkraft entwickelt. Warum der mächtige Scarpia in seinem eigenen, mit Zimmerpflanzen ausstaffierten Büro, das zur Folterkammer für Cavaradossi wird, vorsichtig balancieren muss, um nicht in die quadratischen Löcher zu fallen, erklärt sich genauso wenig wie die silbernen Gewänder des Damenchors oder die Strangulierung Scarpias durch Tosca in Kombination mit ihren blutigen Händen im dritten Akt (Hirte: Timo Vogel). Dass hier Tosca selbst zur Madonna wird und die reale Begegnung mit Cavaradossi im Gefängnis als Traum erscheint, kann noch mit der sphärischen Musik begründet werden. Die nicht dargestellte, vermeintliche Scheinexekution ist trotzdem verschenkt. Cavaradossi wird samt seinem Flokatimantel auf dem Kahn ins Jenseits gebracht. Und Tosca stirbt nicht, sondern geht recht entspannt von der Bühne.