Foto: © Lutz Edelhoff
Text:Tobias Prüwer, am 22. Februar 2025
Naemi Friedmann inszeniert am Theater Waidspeicher Erfurt realistisch das Puppen- und Menschentheater „Angstmän“ und zeigt, wie sich die Angst anschleichen kann. Dabei verschmelzen Puppen und Spielende und nutzen klug das Puppenspiel aus.
Ist es ein Vogel? Ist es ein Mann? Nein, es ist Angstmän! Der intergalaktische Superheld ohne Superkräfte platzt mitten hinein in Jennifers Welt. Soeben hatte sie ganz allein in der leeren Wohnung noch Angst vor imaginären Einbrechern und noch unwahrscheinlicheren Monsterattacken. Nun muss sie sich leibhaftig dem Pöbelmän tapfer stellen, der Angstmän dicht auf den Fersen ist. Und alle ab acht Jahren im Publikum drücken Jennifer beide Daumen, damit sie unter der Popelfolter standhält.
Als furioses Puppen- und Menschentheater bringt der Waidspeicher Erfurt das Kinderbuch von Hartmut El Kurdi auf die Bühne (Regie: Naemi Friedmann). Das Geschehen ist herrlich überdreht, gespickt mit Humor und doch gehen auch die leisen Stellen auf. Immerhin dreht sich alles ums Thema Angst und da muss man behutsam sein.
Schleichende Angst
Die neunjährige Jennifer ist ein starkes Mädchen, liebt Fußball, kickt das Runde regelmäßig knallhart für ihr Team ins Eckige. Der Trainer machte Augen und sie platzt vor Stolz, weil sie das entscheidende 2:1 schoss. Das muss sie gleich Mama erzählen. Doch die ist nicht da, das Krankenhaus rief sie wieder zu einem Ersatzdienst. Jennifers Papa lebt woanders. Also muss sie allein klarkommen. Sie macht erst allerhand Quatsch, bis die Angst sie beschleicht. Die einfache Angst vor Eindringlingen, und die ganz bittere Angst, dass der Mama etwas zustoßen könnte oder diese sie nicht mehr liebhat. Da wird ihre Laune ganz düster, lässt sich trotz der quietsch-bunten Wohnzimmerlandschaft nicht mehr aufhellen. Ohne sich beim jungen Publikum anzubiedern, mimt Karoline Vogel ihre Jennifer glaubhaft, da reichen kleine kindliche Gesten, ihre Stimme verstellen muss Vogel nicht, um glaubhaft zu sein. Es ist lustig, ihr zuzuschauen, wenn sie ihre geheime Liste mit verbotenen Tätigkeiten abarbeitet, etwa alle Elektrogeräte einschaltet, bis die Sicherung rausknallt. Und dann kommt die Angst.
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Spielende und Puppen verschmelzen auf der Bühne bei „Angstmän“ am Theater Waidspeicher Erfurt. Foto: Lutz Edelhoff
Zum Glück besorgt Angstmäns spontaner Schrankbesuch Ablenkung vom Trübsinn. Dem ist die Furcht vor allem schon ins Gesicht geschrieben (Puppen: Melanie Sowa und Mario Hohmann). Die grüne Klapp-Glieder-Puppe kann den Kopf versteckend in den Oberkörper ziehen wie eine Schildkröte. Weit aufgerissen sind die Augen. Der Mund klappt beim Sprechen nach unten weg, so als ob die Puppe permanent am Schreien ist. Die unentwegt herum wackelnden Haar-Tentakel versprühen Nervosität. Paul S. Kemner führt seinen Schisshasen auf wackligen Beinen, lässt ihn mit Fluchtsprüngen durch die Luft fliegen und unters Sofa flitzen. Ansgtmän bekommt fast einen Schreikrampf, als er Jennifer das erste Mal sieht. Mulmig ist auch ihr. Doch sie steht ihr Mädchen, als es bald darauf zum Showdown mit Pöbelmän kommt.
Puppen und Spiel
Der ist optisch eine Wucht(brumme). Ganz in Pink verschmilzt die Puppe mit dem Spieler. Heinrich Bennke setzt sich Pöbelmäns Oberköper vor die Brust, steuert das Klappmaul mit einer Hand, gibt die andere als dessen Greiforgan aus. Bennke pumpt die Figur noch durch raumgreifende Bewegungen, komisch verdrehte Beinarbeit und ein schräges Tänzchen auf. Der fiese Superheld ist ein Gigant, scheint zentnerschwer und muskulös. Doch gelingt es Jennifer an sein weiches Herz heranzukommen.
Das Spiel ist toll, Menschen und Puppen gelingt die Interaktion, auch wenn Angstmän am Ende zur Spielerfigur morphed, funktioniert das gut. Das ist schon turbulent. Die liebevoll gestaltete Bühne mit vielen funktionalen Details machen die 75 Minuten rund (Bühne und Kostüme: Sarah Wolters). Da verströmt eine sich plötzlich im Dunkeln öffnende Schublade rotes Höllenlicht und können Möbelstücke sprechen. Aus einem Kissen mit Augen wird mal Jennifers Fußballtrainer, dann ein Monster. Und dann platzt ins Happy End die Ankündigung der Mama, gleich auf der Türschwelle zu stehen – und die Wohnung im Chaos vorzufinden. Doch das ist eine andere Geschichte.