Foto: Tänzerinnen und Tänzer des Saarländischen Staatsballetts bei der Veranstaltung „Staatstheater goes to Völklinger Hütte“ © Astrid Karger
Text:Björn Hayer, am 24. August 2020
Stahl, Backsteinschlotte, ein System aus gigantischen Rohren und Vernietungen, rostbraune Vergänglichkeitsarchitektur – einst schlug dort das industrielle Herz des Saarlandes. Doch seit 1986 wird in der Völklinger Hütte nicht mehr geschwitzt und malocht. Wo lange Zeit Kohle und Koks verbrannt wurden, befindet sich nun ein Museum. Das Monument der Produktion ist, ausgezeichnet mit dem Titel des UNESCO-Weltkulturerbes, inzwischen zu einem Denkmal eines untergegangenen Arbeiterkapitalismus geworden. Was selbst für dieses immer wieder für verschiedene, nicht selten experimentelle kulturelle Zwecke genutzte Raumensemble eine Premiere ist, dürfte seine Erschließung durch die Bühnenkunst sein. Just zur Eröffnung der neuen Saison hat das Saarländische Staatstheater Saarbrücken zwischen Hochöfen und Erzschrägaufzug einen spartenübergreifenden Parcours eingerichtet. Frei nach dem Motto: Von Corona gilt es, sich das Spiel nicht vermiesen zu lassen. Das Outdoor-Theater ist einem Trotzdem entrungen und macht aus dem Zuschauer einen Flaneur.
Seinen Weg säumen Klangkulissen aller Art. Immer wieder kommt man an kleinen Streicher- oder Blechbläsergruppen vorbei. Bach und Beethoven schwingen neben Sinatras „My way“ durch die Luft. Derweil umschmeichelt das „Blumenduett“ aus Léo Delibes‘ Oper „Lakmé“, gesungen von Sopranistinnen des Hauses, sacht die Ohren. Keine Frage: Vieles, was wir auf dem Freilichtfestival erleben, ist Wohlfühlshow, die von gewollten und nicht gewollten Dissonanzen begleitet wird. Letzte äußern sich insbesondere in einer mangelhaften Zeitabstimmung der einzelnen Acts. Denn nicht selten müssen die zu nahe beieinander befindlichen Musiker und Künstler sich übertönen oder miteinander in eine unbotmäßige Konkurrenz treten. Besonders krass fällt dies mitunter bei den Auftritten des Ballettensembles auf. Auf dem Sinisterturm befindlich, tanzen sie wirbelnd, bisweilen ekstatisch zum Holzschlag auf das Metallgeländer, während wenige Meter weiter erlesene Klassik geboten wird.
Die Gegensätze erfüllen aber auch eine dramaturgische Funktion – gerade was die Interaktion mit der Fakriktopografie anbetrifft. Mögen sich die Tänzer durchaus noch zum hier noch im vergangenen Jahrhundert spürbaren Maschinenpuls bewegen, so erscheinen doch die Orchestermitglieder wie Fremdkörper. Hochkultur meets Arbeiterrevier. Dieser Widerspruch trifft eine wichtige Aussage über das Theater an sich: Obwohl an diesem Abend gut verträgliche Spielplanhäppchen geliefert werden, sollen Schauspielerei, Oper und Konzert kein Konsumtempel sein. Bühnenkunst versteht sich ganz grundsätzlich als Ort der Widersprüche, wo Spannungen ausgetragen werden. Die „Völklinger Hütte“ fungiert also nicht nur als netter Hintergrund, sondern erweist sich als Energiezentrum für eine selbstbewusste Performance, die sich in Coronazeiten lobenswerterweise nicht weiter zurückzieht.
Im Gegenteil: Man gewährt reichlich Einblick in die bevorstehenden Herbstaufführungen des Schauspiels. So etwa mit Szenen aus dem in der Sparte 4 geplanten 2-Personen-Drama „Gespräch mit einer Stripperin“ oder dem fragmentarischen Arrangement „Glück“. Befragt werden in dieser Zusammenstellung loser Texte, beispielsweise aus den Arbeiten von Brecht bis Kricheldorf, Sinn und Unsinn der spätmodernen Gier nach der Ressource Glück. Ob es tatsächlich einen Ausweg aus der gesellschaftlichen Pandemiedepression weisen kann, wie uns sicherlich bald schon wieder neue Ratgeberbücher suggerieren dürften, wird sich spätestens bei der Premiere zeigen. Vielversprechend dürfte das ebenso in Auszügen dargestellte Werk „Die Politiker“ sein. Die titelgebenden Protagonisten stehen in einer Mediengesellschaft, die interaktive Dauerpräsenz und eine unstillbare Zirkulation von Information und Sensation einfordert, verstärkt im Fokus der Berichterstattung. Wolfgang Lotz‘ Annäherung an die viel gescholtene Spezies der politischen Repräsentanten verhandelt die Sehnsucht nach Authentizität inmitten einer künstlichen Welt. Wo gibt es noch Wahrheit bei so viel Selbstinszenierung, lautet eine der zentralen Fragen des Werks.
Obschon die Kompilation der szenischen Miniaturen in Völklingen ein wenig beliebig ausfällt und von bei der Kuratierung eine bessere zeitliche Abstimmung wünschenswert gewesen wäre, belegt der Auftakt in der Hüttenstadt eine wiedergewonnene und wohltuende Souveränität des Theaters an der Saar. Es deutet mit seiner gesamten Anstrengung schon vor der ersten Herbstpremiere an: Dem Virus will man mit Innovation begegnen. Recht so, denn das ist die einzige und zweifelsohne klügste Option.