Foto: Der Treppenturm wird für verschiedene Orte während der Inszenierung verschoben und angepasst. © Marc Lontzek
Text:Manfred Jahnke, am 12. Januar 2024
Die erste Inszenierung der Schauspieldirektorin Marlene Schäfer am Theater Ulm trägt den Titel „Kleiner Mann – was nun?“. Zwar sind die Protagonisten treffend emotional dargestellt, aber die Nebenfiguren bleiben auf der Strecke.
Johannes Pinneberg und Emma Mörschel, genannt Lämmchen, lieben sich. Er, kleiner Angestellter, sie, Proletariertochter, heiraten, bekommen ein Kind, den Murkel. Er verliert in seinem norddeutschen Provinzort den Job und zieht nach Berlin. Aber auch hier verliert „der Junge“, wie Lämmchen ihren Johannes nennt, seine Stellung. Er verliert im zermürbenden Alltag seine Würde, wenn Emma nicht mit ihrer Liebe, die „höher, von der befleckten Erde zu den Sternen“ (der vorletzte Satz im Roman) reicht, ihn nicht stützen würde.
Der Roman „Kleiner Mann – was nun?“ von Hans Fallada, 1932 erschienen, voller Anspielungen auf die sich abzeichnende Endphase der Weimarer Republik, ist erfolgreicher Theaterstoff. Während Peter Zadek diesen Roman als große Revue inszenierte, interessierten sich Sibylle Basching und Michael Thalheimer in ihrer Fassung mehr für die Mechanismen des Gangs in die Tiefe. Für die tiefen Spuren, die ein menschenverachtender Kapitalismus in den einzelnen Menschen hinterlässt. Auf der Grundlage dieser Bearbeitung inszeniert Marlene Schäfer „Kleiner Mann – was nun?“ zu Beginn ihrer Schauspieldirektion am Theater Ulm zwischen den Stilmitteln einer Revue und dramatischer Szene hin- und herschwankend. Sie konzentriert sich auf die Beziehung zwischen Pinneberg und Lämmchen, die sich gegen die Welt der Anderen behaupten muss: In Form eines Chores tritt diese monolithisch auf.
Von Retro-Kostümen zu abstrakter Bühne
Während ihre Kostüme in ihren Schnitten an die zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts erinnern, haben Lorena Diaz Stephens und Jan Hendrik Neidert abstrakten Bühnenraum entworfen: Als Andeutung für die norddeutsche „Provinz“ reicht eine hohe weiße, gekachelt strukturierte Wand, die auf der Reise nach Berlin abgesenkt wird. Dann erscheint eine Art Treppenturm, der für die verschiedenen Örtlichkeiten in Berlin in andere Positionen verschoben werden kann. Am Ende dann wird das Podest hochgefahren und erscheint ein Sternenhimmel. Im Halbdunkel steht oben der gedemütigte Mensch und unten am Rand eine geängstigte liebende Frau. Hier hat die Inszenierung von Schäfer ihren Höhepunkt. Insbesondere Emma Lotta Wegner als Lämmchen überzeugt, während Samson Fischer als Pinneberg schweigend im Halbdunkel verharrt. Die positive Geste, die der Roman den Liebenden am Ende einräumt, sie wird hier verweigert.
Die Kostüme stehen im Kontrast zum abstrakten Bühnenbild. Foto: Marc Lontzek
Überhaupt hat die Inszenierung ihre Stärken, wenn die beiden Hauptprotagonisten auf der Bühne einsam in großer Distanz agieren dürfen, da hat die Aufführung emotionale Qualitäten. Albern wird es, wenn der Chor agiert, mal zynisch, mal kalauernd, Sätze nachhallen lassend durch Wiederholungen: die Umwelt von Pinneberg und Lämmchen wird zur bloßen Karikatur händewedelnder Menschen, die in ihrem Sentiment versinken und „Tränen lügen nicht“ weinerlich herausposaunen. In Berlin singt dann Anne Simmering zur Unterhaltung der Gesellschaft von Frau Mia Pinneberg, der umtriebigen Mutter von Johannes, „Zwei in einer großen Stadt“ (musikalische Mitarbeit: Nikolaus Henseler). Der bedrohliche Zeitgeist Anfang der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts taucht nur am Rande auf, zwei Mal wird zackig marschiert.
Ungefährliche Figuren
Was dieser Inszenierung fehlt, ist eine Haltung über die Sympathie mit Pinneberg und Lämmchen hinaus. Trotz allem szenischen Aufwand, den Schäfer für die „Chor“-Auftritte einsetzt, springt der Funke nicht über. Es scheint, dass sie die einzelnen Figuren, die aus dem Chor heraustreten, nicht ernst nimmt. Sie wirken, obwohl sie eine so starke Wirkung auf das Leben der beiden Liebenden haben, ungefährlich lächerlich. Sie denunziert diese nicht nur in den Livevideos, die ab Mitte des ersten Teils auch sichtbar in einem kleinen „Studio“ produziert werden. Da wird Emil Kleinholz, der Chef, der seine Marie (Anne Simmering) an den Mann bringen will, zum genüsslichen Trinker des Gunther Nickles im Großformat. Oder Frank Röder als proletarischer Vater Mörschel.
Christel Mayr spielt eine anrührende Witwe, die in der Inflation ihr Geld verloren hat. Als Mia Pinneberg agiert sie dann hysterisch. Vincent Furrer fährt als Verkäufer Heilbutt auf einem Rollschuh durch die Verkaufsräume. Henning Mittwollen spielt die opportunistischen Pinneberg-Kollegen. Wenn Marlene Schäfer mit diesen Karikaturen die Sympathie mit Pinneberg und Lämmchen verstärken will, misslingt dies, weil der gewichtige Druck ihrer Umwelt ihre Ernsthaftigkeit prägt. Und das ist schade, weil Emma Lotta Wegner und Samon Fischer mit ihrem psychologisch differenzierten Spiel damit allein sind.