Die „Tankstelle“ des DT Göttingen

Theater-Snack

Erich Sidler, Antje Thoms, Florian Barth: Tankstelle

Theater:Deutsches Theater Göttingen, Premiere:26.03.2021 (UA)Regie:Antje Thoms

In Ermangelung an Alternativen feiert ja gerade der Spaziergang als althergebrachte Unterhaltungsform sein Comeback. Oder, etwas gehobener gesagt: das Flanieren. Wer in Göttingen flanieren geht, tut das gerne auf dem alten Stadtwall rund um die Altstadt: Ein mundnasenschutzpflichtiges Stück Grün, das Aussicht auf die Altstadt bietet, den botanischen Garten der Stadt und das zurzeit geschlossene Deutsche Theater Göttingen, auf dessen historische Fassade jemand mit Kreide „Wir vermissen euch“ geschrieben hat. Im letzten März war das.

Und weil ja kein Theater auch keine Lösung ist, gibt es im – oder besser: am – DT in Göttingen für alle Flaneure und Flaneusen eine neue Inszenierung zu sehen. Es ist kaum möglich, nicht darüber zu stolpern, wenn man über den Wall geht. Es ist nichts Großes, nichts Besonderes, aber immerhin: etwas. „Tankstelle“ heißt die Inszenierung, und sie findet an fünf Sichtfenstern im golden aufgemachten Container der Theaterpädagogik statt, der auf dem Parkplatz des Theaters steht, direkt hinter dem Wall. Die Darsteller und Darstellerinnen stehen auf der einen Seite dieser Sichtfenster, das Publikum, jeweils einzeln, auf der anderen, verbunden durch Lautsprecher und Mikrofone.

Eine jeweils dreiminütige Mini-Inszenierung gibt es pro Fenster zu sehen, im direkten Dialog wird mit dem Publikum Stein-Schere-Papier gespielt, es wird ein Lied gesungen, Nützliches über Kaiserschmarrn vorgetragen, die Liebe gefunden oder Sprechübungen gemacht. Ein kleines Stück Unterhaltung eben, 15 Minuten Theater, die sich schnell mal während des Spaziergangs über den Wall zwischendrin absolvieren lassen, in aller Sicherheit.

Sich ausgedacht und eingerichtet haben das Projekt Intendant Erich Sidler, Regisseurin Antje Thoms und Bühnenbildner Florian Barth. Jeweils zwei Stunden täglich, zur besten Flanierzeit zwischen 16:30 Uhr und 18:30 Uhr, soll die Tankstelle bis auf Weiteres geöffnet haben, die fünf Räume werden im Wechsel von allen Mitgliedern des Ensembles bespielt, vorbeikommen soll das Publikum spontan beim Spaziergang. Dabei ist „Tankstelle“ weniger eine Inszenierung als vielmehr ein Lebenszeichen des Deutschen Theater, eine Botschaft an die Menschen in der Stadt, prominent platziert, dass es eben doch weitergeht. Dass auch unter widrigen Umständen theatrale Formen gefunden werden können, auch solche, die sich nicht ins Digitale zurückziehen müssen.

„Tankstelle“ ist dabei vor allem: charmant. Es wird kein großer gesellschaftspolitischer Bogen gezogen, nichts großartig kritisiert, es ist keine Mahlzeit – die gibt es an Tankstellen ja sowieso nicht –, sondern ein Snack. Ein Schokoriegel mitten in der Nacht. Ein Getränk zu einer Uhrzeit, zu der es woanders keine Getränke mehr gibt. Eine schnelle Freude beim Flanieren, für ein kleines Lächeln unter dem Mundnasenschutz.