Foto: © Torsten Biel
Text:Joachim Lange, am 26. April 2025
Das Theater Naumburg weiht mit „Hamlet“ sein neues Haus ein. Stefan Neugebauer inszeniert den Shakespeare-Klassiker ruhig, wiedererkennbar und modern, doch zentral bleibt am Premierenabend die Einweihung.
Um William Shakespeares „Hamlet“ auf den Spielplan zu setzen, braucht man wahrlich keinen Grund. Begründungspflichtig ist bei dem Stück eher eine längere Spielplanabstinenz. Hier ist das Welt-Theater nämlich ganz und gar bei sich und feiert sich selbst. Hier gibt es einen Staat, in dem etwas faul ist. Hier wird intrigiert, was das Zeug hält. Ein vertuschter Königsmord, eine Geistererscheinung, ein an sich und der Welt (ver-)zweifelnder Titelheld.
Wahnsinn in mehreren Schattierungen – von taktisch gespielt bis tödlich echt – alles da. Und obendrein, sozusagen ganz modern und selbstreferenziell, ein Kurzlehrgang in Sachen richtig dosierter Schauspielkunst. Mit dem von Hamlet auf die Schnelle inszenierten Theaterstück im Stück „Die Mausefalle“ auch noch ein Hohelied auf die Macht des Theaters, verborgen Finsteres ans Licht zu bringen. Mehr Theater geht eigentlich nicht. Hinzukommt, dass der Text schon deshalb frisch bleibt, weil er es auf verschiedenen (Nach-)Dichterwegen vom englischen Original ins kollektive deutsche Gedächtnis geschafft hat. Die Grundmelodie aus dem 19. Jahrhundert schwebt im Raum, auch wenn, wie jetzt in Naumburg, Shakespeare in der deutschen Sprachmaske von Marius von Mayenburg zu uns spricht. Bei seiner Übersetzung bleiben die Zitatenschmuckstücke auch in maßvoller Erneuerung so erkennbar, dass Wiederhören Freude macht.
Einweihung des neuen Hauses
Manchmal aber gibt es einen guten Grund, mit diesem Stück das Theater nicht nur im übertragenen Sinne zu feiern. In Naumburg an der Saale ist nämlich nicht nur das kleinste Stadttheater Deutschlands zu Hause, es kann mit diesem vom Hausherrn Stefan Neugebauer mit ruhiger Hand und respektvollem Blick auf die Vorlage inszenierten „Hamlet“ auch ein neues Haus einweihen! Es ist ein zu neuem Leben erweckter alter Schlachthof, der nur ein paar Fußwegminuten auch für Auswärtige vom Bahnhof aus gut zu erreichen ist. Was etwas seltsam klingen mag ist in mehrfacher Hinsicht ein Wunder, das quer zu der (sich obendrein selbst verstärkenden) Miesmacherei in Sachen Kultur steht. Schon der Anstoß für das aus der Zeit gefallene Projekt ist bühnenreif.
Man höre und staune: es gibt auch hierzulande die anonym bleiben wollende, großzügige alte Dame, die mit einer vererbten Million ihrer (vermutlichen) Heimatstadt etwas Gutes tuen wollte. Und es gibt Kommunalpolitiker wie die in Naumburg, die (ohne politischen Gegenwind!), mit Unterstützung von Landesregierung und Sparkassenstiftung, diesen Betrag auf die notwendigen etwa viereinhalb Millionen Euro aufgestockt haben, um aus dem Schlachthof einen Ort der Kultur zu machen, dessen Charme man kaum widerstehen kann. Mit einem Theaterschwein von Moritz Götze als Maskottchen an der Fassade. Mit augenzwinkernder Vornehmheit porcus theatralis genannt passt es wie die Faust aufs Auge beziehungsweise das Schnitzel auf den Teller. Drinnen ist Platz für 110 Zuschauer auf wohltuend ansteigenden Sitzreihen. Dazu eine Studiobühne. Das ganze Drumherum, verleugnet die Vergangenheit des Baus nicht und stimmt einfach dennoch!
Wiedererkennbarer Hamlet
Nach der Einweihungsrethorik ein „Hamlet“, bei dem sich neun Mimen 13 Rollen teilen. Ausstatter Markus Meyer hat die Bühne auf ein Shakespeare-kompatibles gelbes Spielpodest mit ebensolcher Rückwand beschränkt. Mit einer vergitterten Versenkung in der Mitte. Hier wird aus Versehen der lauschende Polonius erstochen, später ertrinkt dort dessen Tochter. Claudius (Peter Fiesler) und Gertrud (Ute Wieckhorst) liefern ein Königspaar, das mit ihrem Pragmatismus (in Sachen Macht und Liebe) wohl vor allem sich selbst etwas vormacht, um den Mord an Hamlets Vater (Hansjörg Schnass) zu verdrängen. Der taucht erst im Video, dann auch mit der toten Ophelia (Ruth Weingarten) real auf.

Das Ensemble der Einweihungsinszenierung „Hamlet“. Foto: Torsten Biel
Neben den beiden Frauen gehört auch Leonard Wollner zum festen (Vierer-mini-)Ensemble des Hauses. Er kann sich als wütender Laertes und als etwa dümmlicher Güldenstern hier wie dort überzeugend profilieren. An seiner Seite Jean Baptiste Vizmathy als Rosenkranz und Priester. Markus Fennert ist nicht nur Polonius, er hat als Totengräber mit einer kleinen Solonummer auch die Chance, im Stück der Gratulant zum neuen Haus zu sein. Oliver Natterer bleibt als Horatio etwas zurückgenommen. Armin Moallem schafft als Hamlet mit einem etwas eigenen Betonungssound etwas mehr Abstand zu den anderen, als nötig wäre.
Insgesamt verlässt man dieses Haus hochgestimmt, weil es selbst ein Wunder gegen den Geist der Zeit ist. Und die Begegnung mit einem wiedererkennbaren „Hamlet“ bietet, der dennoch genügend Raum zum Selberdenken lässt.