Foto: © Martina Pipprich
Text:Michael Kaminski, am 24. März 2024
Am Theater Münster übernehmen Artistinnen und Artisten die Bühne. Im Zirkusambiente inszeniert Georg Schütky die Oper „Zoroastre“ von Jean-Philippe Rameau und vernachlässigt dadurch die Komplexität des Originals.
Kein Zweifel, auf Münsters Bühne herrscht Spektakel. Zirkus pur. Artistinnen und Artisten tummeln sich in Garderobe und Manege. Fechten Sträuße um Macht, Prestige und Liebe aus. Da spinnen fiese Stars mit autoritärem Gehabe Intrigen gegen solche, die auf Kollegialität und Kooperation bauen. Final setzt sich friedliches Miteinander durch. Allererst, weil die Hauptattraktion des Programms, der Magier Zoroastre, seine Künste in den Dienst des Gemeingeistes stellt. Den faulen Zauber der Gegenseite erledigt er unter dem Beistand der Geisterwelt durch Zeichen und Wunder. Dazu freilich muss er sich zwischendurch in einen sein Lichtschwert schwingenden Jedi-Ritter verwandeln.
Der Mühe Lohn besteht über die wiederhergestellte Solidarität der Zirkusleute hinaus in der Hochzeit mit der liebreizenden und ein Herz für ihre Truppe beweisenden Tochter und Erbin des verblichenen Zirkusdirektors, dessen Nachfolge das Paar nun antreten darf. Das Happy End ereignet sich unter den Augen eines zirkusvernarrten Publikums, das den Nummern in der Manege ebenso applaudiert wie dem, was sich hinter dem Vorhang und in den Garderoben an Zwischenmenschlichem zuträgt. Die Fans geben keine Ruhe, sie dringen bis hinter die Kulissen. Bei dem, was der Zirkus an Attraktionen bietet, kann das nicht wundern: Menschen, Tiere, Sensationen halt. Selbst ein tänzerisch begabtes Elefantchen ist mit von der Partie.
Kurzweil hat ihren Preis
Regisseur Georg Schütky verwandelt durch all dies den Politzirkus Rameaus und seines Librettisten de Cahusac ins tatsächliche Milieu der Artistinnen und Artisten. Meist ist das amüsant anzusehen, doch zugleich unterkomplex. Zwar darf das Ringen um die Herrschaft im altorientalischen Baktrien (dem heutigen Nordafghanistan) getrost vernachlässigt werden. Dass aber das entschieden aufklärerische Ansinnen des Werks im circensischen Tohuwabohu des sich verselbständigenden Bühnenspaßes auf der Strecke zu bleiben droht, unterschlägt eine entscheidende Dimension: Die Titelfigur predigt eine Religion des Lichts und der Menschenliebe. Für Textdichter de Cahusac, den hochrangigen Freimauer und nimmermüden Beiträger zu Diderots und d’Alemberts Encyclopédie, verkündet sie das „Siècle des Lumières“, das Zeitalter der Aufklärung.
Das Ensemble in der Manege des Zirkusbühnenbilds. Foto: Martina Pipprich
Im altorientalischen Weisheitslehrer Zarathustra sahen Wissenschaft und Kunst der Epoche die verkörperte Vernunft: Zoroastre und der Zauberflöten-Sarastro sind Zwillinge im Geiste. Mag immer der Zirkus als Chiffre für Weltpolitik und Welttheater gemeint sein, die bloße Wiederherstellung des Betriebsfriedens unterm Dach des auf der Bühne angedeuteten Zweimastzelts greift zu kurz.
Beeindruckende Malerei
Optisch freilich warten die Münsteraner mit einem Hingucker auf. Bühnenbildner Ralf Käselau zieht die Zirkusmanege über den Orchestergraben hinaus ins Parkett. Der Klangkörper nimmt an der linken Bühnenseite Platz. Eine gemalte Aussicht auf eine weite afghanische Gebirgslandschaft hinterfängt die Musizierenden. Überhaupt hat der Malsaal treffliche Arbeit geleistet. Denn auch der mit einem monumentalen Groteskkopf in Renaissance-Manier versehene Vorhang für die Auftritte und Abgänge der Artistinnen und Artisten verfehlt nicht seine Wirkung. Katharina Gault steckt die Personnage in allerhand für die Zirkusbranche üblichen Rüschen- und Flitterkram.
Musikalisch gibt sich der Münsteraner „Zoroastre“ passabel. Für den Chor und Extrachor des Hauses unter Anton Tremmel bleiben rhythmische Exaktheit und dynamische Feinabstufung nachzujustieren. Bernhard Forck lässt das Münstersche Sinfonieorchester historisch gut informiert aufspielen. Im Lauf des Abends legt der Klangkörper an Präzision und Verve bedeutend zu. In der Titelpartie bewährt David Tricou seinen dazu erforderlichen Haute-Contre, jenen für die französische Barockoper typischen Tenor mit durchgehend enormer Höhe in der Bruststimme. Als menschenfreundliche Zirkuserbin respektive Thronfolgerin Amélite weiß Robyn Allegra Parton für sich einzunehmen. Auch das übrige Ensemble agiert spielerisch und vokal rollendeckend.