Erfolgsroman als fantastisches Musiktheater
Nun bringt das Theater Münster diese Erfolgsgeschichte als Musiktheater von Gordon Kampe auf die große Bühne, in einer mit zweieinhalb Stunden sehr langen Uraufführungsinszenierung für eine Altersgruppe ab acht Jahren. Dazu gibt’s Live-Gebärdenübersetzung und zur inklusiven Vorstellung bleiben die Saaltüren die ganze Zeit über offen, erläutert Intendantin Katharina Kost-Tolmein. Dass trotzdem außer amüsierter Kommentare oder der Nachahmung von Geräuschen kaum Unruhe im Saal aufkommt, liegt an der krachenden, lautmalerischen Komposition von Gordon Kampe, der versiert ist in diversen Formaten und dazu ein Kinderopern-Fachmann. Aber auch fürs musikgeschichtlich kundige Publikum versteht er es, unterhaltsam Zitate zu setzen.
Da knackst es beim Genickbruch aus dem Graben, zu Fliegenschwärmen tönt die Klatsche – und wenn Mutter Semilla (zart im Ausdruck: Schauspielerin Adele Vorauer) stirbt und hinter einem Folienvorhang verschwindet, dröhnen Blech und allerlei Schlagwerk beängstigend. Der personifizierte Tod spielt Tuba auf der Bühne – und was im Schattenbild anfangs arg bedrohlich aussieht und klingt, löst sich am Ende ins Gegenteil auf. Doch dazu später.
Die Bühne: ein kühles Provisorium
Während es aus dem Graben unter der musikalischen Leitung von Thorsten Schmid-Kapfenburg also jede Menge Fantastisches zu entdecken gibt, wirkt die Bühne von Karen Simon wie ein kühles Provisorium: Ein Folien-Vorhang fällt herab auf schräge Podeste, Gummibälle sind Beeren, blaue Plastikeimer dienen Sasja und seinem Freund Trine zur Flussüberquerung. Reizvoll ist, wie heraufgezogene Tücher farblich wechselnde Berglandschaften evozieren (Lichtdesign: Jan Hördemann). In dieser sterilen Gegend ist Sasja zum Glück nur auf der Durchreise und trifft auf seine drei Freunde Trine (Benjamin Park mit schönem Tenor, als ulkig grunzender Schweinejunge), die Prinzessin von Sparta (sehr überzeugend: Schauspielerin Soraya Abtahi als Wolfskind) und Höder (Ramona Petry).
Abstrakt bis grotesk sind die von Kathrin Krumbein entworfenen Kostüme: Sasja mit hellblauer, ausgebeulter Schlabberhose, die Fliegen als Begleiter des Todes in hässlich grauen Masken mit Puschelhaube, die Königin von Sparta mit aufgeklebter Halbglatze, und auch der Tod wirkt in seinem zu großen Streifen-Anzug und dem blauen Netzhut eher wie eine Karikatur. Schade, denn gerade er tritt im Roman fast weise und hochphilosophisch zu Fragen des Kind- und Erwachsenseins auf, ist zudem derjenige, um dessen Gunst alle im Reich buhlen. Hier dagegen tänzelt er betüdelt umher (Oscar Marin-Reyes gibt ihn mit samtigem Bass), spült den Abwasch und ist mit seiner komödiantischen Art ein Höhepunkt der Inszenierung.
Regisseur Sebastian Bauer hat spartenübergreifend mit den sechs Mitgliedern des Opernstudios (bei dem fast alle noch an ihrer Textverständlichkeit arbeiten sollten) und drei Schauspielerinnen vom Jungen Theater Münster gearbeitet. Arien und gesprochene Dialoge fließen gut getimt ineinander, auch weil Carina Sophie Eberle aus dem Roman ein kluges, wortspielreiches Libretto extrahiert hat, wie man es sich fürs Kindermusiktheater nur wünschen kann. Die junge Sopranistin Yeaseul Angela Park gibt Sasja fast schüchtern und gestisch sparsam, Elena Sverdiolaitė überzeugt als Königin von Sparta mit strahlkräftiger Koloraturhöhe, Yixuan Zhu (Vingmor) und Ramon Karolan (Kapitän) ergänzen das Ensemble.
„Sasja und das Reich jenseits des Meeres“ gehört, etwas gestrafft, unbedingt nachgespielt. Ein Hoch auf das ambitionierte Theater Münster dafür, es aus der Taufe gehoben zu haben.