Seilschaften in Rot und Weiß

Georg Reischl, Gaj Žmavc: Horizonte

Theater:Theater Magdeburg, Premiere:23.03.2024 (UA)Regie:Georg Reischl, Gaj Žmavc

Rot versus Weiß, so lässt sich „Horizonte“ des Magdeburger Balletts in aller Kürze zusammenfassen. Der Abend besteht aus zwei unabhängigen Stücken der Choreografen Gaj Žmavc und Georg Reischl, die sie als Uraufführungen mit den 14 Tänzer:innen erarbeitet haben.

„More passion, more footwork“ von Žmavc ist der erste Aufschlag des Doppelabends und trägt die Farbe Rot. Rot flutet das Licht die Bühne, rot ist der Boden und aus rot glänzendem Latex sind die Kostüme der Frauen (die Männer tragen schwarze Latexhosen). Dazu eine beatlastige Musik, die Žmavc selbst komponiert hat und entfernt an den Soundtrack von „From Dusk Till Dawn“ erinnert. Das Ergebnis ist eine 25-minütige nach vorne stampfende Tanznummer voll lasziver Vampir- und Fetischanspielungen und mitunter gar nicht so subtiler Erotik.

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Žmavc setzt ganz auf Timing im Wechselspiel zwischen Kollektiv und einzelnen ausscherenden Tänzer:innen. In großen Gesten gleiten sie zusammen durch den Raum, doch immer ist da der oder die eine, die heraus fällt aus diesem großen Flow. Da steht etwa ein Tänzer fast bewegungslos aber in voller Pose neben den anderen 13, die in einer Art Knäuel eine der ihren nach oben wuchten. Oder im Hintergrund formiert sich eine Reihe aus acht Tänzer:innen, doch weil die beiden Äußeren versteinern, gibt es statt vier klassischen Paaren, ein Frauen-, ein Männer- und ein Mann-/Frau-Duett. Alles bleibt aber im Flow und auch die Breaks sind bei diesen Körpern mit ihren durchgestreckten Rücken und ausladenden Bewegungen perfekt abgestimmt. Das erzeugt eine Energie, die sich auch aufs Publikum überträgt, das gebannt mitgerissen wird von diesem exaltierten Tanz.

Vom Social Media Trend inspiriert

Der Titel bezieht sich übrigens – das sei der Vollständigkeit halber gesagt – auf ein virales TikTok-Video, das aber für das Stück mehr als unerheblich ist. Žmavc, der in der letzten Spielzeit bereits Edward Clugs „Le Sacre de Printemps“ mit dem Ballett des Theaters Magdeburg inszenierte, hat hier im rot dominierten Bühnenraum von Matic Kansik, der für beide Teile als Bühnenbildner tätig war, eine sehenswerte Arbeit abgeliefert. Allerdings ist der Raum des K2 doch etwas zu klein für diese 14-köpfige Choreografie und man wünscht Tanzenden und Publikum in einigen Momenten mehr Raum zur Entfaltung dessen, was da Schönes auf der Bühne passiert.

Horizonte Theater Magdeburg

Szene aus dem Tanzstück „Forgotten Horizon“. Foto: Ida Zenna

Nach der Pause dominiert das Weiße in Georg Reischls „Forgotten Horizon“, das sich auf das gleichnamige Bild von Salvador Dalí beziehen soll. Reischl hat sein tänzerisches Handwerk unter anderem bei William Forsythe gelernt, was seine Formsprache gar nicht verstecken will, und war 2019 bis 2023 Leiter der Tanzsparte am Theater Regensburg. Er arbeitet eher abstrakt denn erzählerisch. In Magdeburg, wo er mit nur neun Tänzer:innen des Balletts das 45-minütige Tanzstück gestaltet (es gibt wechselnde Besetzungen einzelner Parts) sind denn auch vier weiße Gummiseile die Hauptprotagonisten. Diese sind zunächst als Bündel quer über die Bühne gespannt und teilen so zum einen den Raum, zum anderen bilden sie aber auch eine weiße Horizontlinie. Im Laufe des Abends werden sie in immer neuen Konstellationen durch den Raum gespannt und erzeugen so immer neue Konstellationen von innen und außen.

Bühnenrätsel

Horizonterweiterungen und -einengungen verändern buchstäblich Spielräume. Beständig werden Tanzende getrennt, isoliert oder zusammengebracht, wobei auch eine räumliche Trennung nicht automatisch zum Abbruch der Kommunikation führt. So tanzen in einer Szene drei Tänzer mit einer Tänzerin zusammen, während im Hintergrund – getrennt durch das Gummiband – eine zweite Tänzerin genau jene Bewegungen vollzieht und sich die Frage des Ursprungs stellt: Wer formt wen? Später tritt noch eine dritte Tänzerin hinzu, die klar als Beobachterin agiert und die Bewegungen leicht zeitverzögert kopiert und dabei mitunter gekonnt scheitert. Solche Bühnenrätsel formt Reischl mit den Magdeburger Tänzer:innen durch die gesamten 45 Minuten. Immer wieder kommen sie dabei auf die Bühne und verlassen sie wieder, bauen neue Seilkonstellationen. Min Li hat sie dazu in weiß-beige, an Trainingsklamotten orientierten Kostüme gesteckt und betont dabei die ohnehin demonstrative Anlehnung an das Improvisierte, gleich wohl die Dramaturgie präzise wie ein Uhrwerk daher kommt. Ob es stille Schreie sind, kraftvolle Hebefiguren oder der repetitive Einsatz von Tanzfiguren, alles passt hier lückenlos zusammen, was sich allerdings erst im Laufe des Abends kraftvoll entwickelt – bis am Ende das Schnurquadrat die ganze Bühne umspannt und einige Tänzerinnen auch diese vierte Wand noch durchbrechen.

Eine überzeugende Arbeit des Magdeburger Balletts mit zwei sehr unterschiedlichen Handschriften des zeitgenössischen Bühnentanzes: Der Versuch von Ballettdirektor Jörg Mannes durch das Engagement zweier gefragter Choreografen seine eigene Company zu fordern und neue Impulse für die Tänzer:innen aber auch das Publikum zu liefern, dürfte mit diesem Doppelabend voll aufgegangen sein.