Zwischenwelten von Heimat

Melinda Nadj Abonji: Tauben fliegen auf

Theater:Theater Konstanz, Premiere:09.03.2025 (DE)Regie:Glen Hawkins

Die deutsche Erstaufführung von Melinda Nadj Abonjis Roman „Tauben fliegen auf“ geht über das Biografische hinaus. Die Theaterfassung am Theater Konstanz bedient sich eines Kleinteils des Originalstoffes und stellt sich mit Verletzlichkeit und Stärke der Heimatfrage.

In dem sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland 2010 ausgezeichneten Roman „Tauben fliegen   auf“ von der ungarisch-schweizerischen Autorin Melinda Nadj Abonji wird die Geschichte von Ildikó erzählt, deren Eltern aus einer ungarischen Enklave im nördlichen Serbien nach der Schweiz ausgewandert sind. Sie haben sich – vermeintlich – im neuen Land etabliert und in Zürich in bester Lage das eingeführte „Café Mondial“ übernehmen können. Die Ich-Erzählerin, Ildikó, lebt in einer Zwischenwelt: einmal in der alten ungarisch-serbischen Umgebung, die insbesondere mit der Großmutter verbunden ist und als Heimat empfunden wird. Zum anderen lebt sie im Züricher Dunstkreis, in dem sich die Eltern einzurichten versuchen. Während diese das Misstrauen, das ihnen bis hin zu fremdenfeindlichen Aktionen entgegenschlägt, dulden, lehnt sich Ildikó auf. Sie bricht am Ende zu neuen Ufern auf, verlässt die Eltern und das Café, um zu sich selbst zu kommen.

Der Roman von Melinda Nadj Abonji erzählt viel von den Reisen in die Vojvodina, von den Massen an Essen, Hochzeiten und merkwürdigen Nachbarinnen, von Autofahrten, Familiengeschichten und schließlich von Titos Tod und den Balkankriegen, die auch die treffen, die im Abseits der Schweiz leben. Der Roman erzählt von den vergeblichen Versuchen, sich zu integrieren. In ihrer Theaterfassung für das Theater Konstanz konzentrieren sich Glen Hawkins (Regie) und Lea Seitz (Dramaturgie) auf die Situation der Ich-Erzählerin, die zwischen der alten Heimat und der gegenwärtigen Erfahrungen des Fremd-Seins, mit denen sie immer wieder konfrontiert wird, aufgerieben wird.

Tauben fliegen auf am Theater Konstanz

Alicia Bischoff in der deutsche Erstaufführung von Melinda Nadj Abonjis Roman „Tauben fliegen auf“. Foto: Ilja Mess

Erinnerungsraum und Spiegel der Gegenwart

Die Fassung, die den ursprünglichen Romantext fast auf ein Zehntel eindampft, konzentriert das Geschehen auf die Frage, was ist meine Heimat, wo fühle ich mich geborgen? Der Bühnenraum von Kanade Hamawaki zeigt ein 30-teiliges „Kastensystem“ mit meist offenen „Kästen“. In seiner Abstraktheit wirkt diese Szenerie wie ein Erinnerungsraum: Alles, was einmal war, wird im Spiegel der Gegenwart überprüft. Alicia Bischoff als Ildikó spielt diese Enttäuschung groß aus. Sie tut es mit einer Vitalität, die verblüfft. Blitzschnell wechseln Empörung über die Verhältnisse, wie sie sind, mit nachdenklichen Passagen, die deutlich machen, dass die schönen Erlebnisse in der Vojvodina, vor allen Dingen an Mamika, die Großmutter, Vergangenheit sind.

Die Erinnerung macht die Ich-Erzählerin stark. Alicia Bischoff brilliert in dieser Solo-Performance in der geschickten Lichtführung von Kanade Hamawaki. Sie springt von „Kasten“ zu „Kasten“, zeigt mit jeder Erinnerung eine gesteigerte Verletzlichkeit, die zugleich zu ihrer Stärke wird. Am Ende dann zieht sie sich mit großer Traurigkeit um, um zu gehen, ohne zu wissen, wohin. In dieser verschlankten Fassung gelingt es Glen Hawkins, „Tauben fliegen auf“ weit über das Biografische hinaus. Es entsteht viel mehr eine Geschichte über die Situation von Kindern der migrantischen Elterngeneration. Das gelingt beeindruckend.