Text:Eckehard Uhlig, am 21. Januar 2018
Guido Markowitz choreografiert in Pforzheim „Mozart Requiem – Feiert das Leben!“
Wolfgang Amadeus Mozarts „Requiem“ ist ein mystischer Fall: Ein geheimnisvoller „grauer Bote“ bestellte bei dem bereits todkranken Komponisten eine Totenmesse und bezahlte das Honorar im voraus. Das Werk blieb unvollendet und wurde (nach Skizzen des Meisters?) von Mozarts Schüler Franz Xaver Süßmayr vervollständigt. Namhafte Choreographen haben die in der Trauer-Tonart d-Moll gehaltene Kirchenmusik, ihre Chöre, Vokalsoli und den Orchestersatz in der körperbetonten Sprache des Tanzes auf die Theaterbühne gebracht. Guido Markowitz‘ Tanzfassung, die am Pforzheimer Theater Premiere hatte, fügt einfallsreich Elemente hinzu, die sich aus der geistig-emotionalen Struktur der Mozart-Komposition entfalten und speisen.
Da ist die Leitidee, die Wände zwischen den beiden sich ohnehin nahestehenden Sparten Musik-theater und Tanz beiseite zu schieben. Der umfangreiche, die Akustik des Stadttheaters zuweilen arg strapazierende Chor (aus den vereinten Ensembles Theaterchor und Oratorienchor Pforzheim) singt und lamentiert nicht nur ausdrucksstark aus beleuchteten Notenbüchern, sondern spielt auf der Bühne mit, oder rahmt die handelnden Tänzer wie ein Volksauflauf ein. Mit dabei in malerisch rotlichtig aufgeschlitzten Mänteln auch die vier, ihre jeweiligen Parts gediegen umsetzenden Vokalsolisten Elisandra Melián (Sopran), Danielle Rohr (Alt), Dennis Marr (Tenor) und Lukas Schmid-Wedekind (Bass). Das Musikalische führt Generalmusikdirektor Markus Huber am Pult seiner Badischen Philharmonie, deren Bläser und Perkussion besonders gefordert sind, solide zusammen.
Auch für die Tanzgestaltung selbst hat sich Markowitz manches Neue ausgedacht. Seine kleine Compagnie umspielt munter zwei Tanzsolisten: Ein Mädchen (Ana Rita dos Santos Brito da Torre) und den Tod (Antoine Audras). Ihr Generalthema ist das Sterben – die Trauer darüber und die Furcht davor. Aber als Drittes bricht sich mit tröstlich-beruhigender Helle gleichsam „das ewig leuchtende Licht“ seine Bahn, auch in Oliver Feigls optisch wunderschönen Video-Liveprojektionen, den schwebend-tändelnden Federwölkchen und bunt schlängelnden Schwärmen erlöster (menschlicher) Seelen, die Bewegungen der Tänzer abbilden.
Die Tanzfläche ist giftig spiegelschwarz ausgelegt, die Wände sind dunkel und düster. Choristen und Tänzer sind theaterschwarz eingekleidet. Der Tod ist in seinem knochigen Rippen-Kostüm kein Strahlemann. Aber er geht zumeist sehr zart mit dem Mädchen um, bedrängt es und entlässt es aus sanfter Umarmung wieder in seine Freiheit. Doch „sie“, die Kindfrau, tanzt in hellblauem Hemdchen und weißen Hosen, was sie von ihrer nachtdunklen Umgebung deutlich abhebt. Ihr Wesen scheint lebensbejahend, sie zelebriert auch in der Ausweglosigkeit kein permanentes „Memento mori“. Da sind Liebe, atemlose Leidenschaft, besinnungslose Rauschzustände. Nicht umsonst hat Markowitz dem Titel seiner Choreographie den Appell „Feiert das Leben!“ beigegeben.
Ein kurzer Prolog zu Philipp Haags Musik „Geolyptikon“ eröffnet mit donnerndem Paukenschlag und tänzerischen Blitzen die Choreographie, wobei sich aus einem Gruppen-Knäuel ein Paar herauslöst, das später zu Boden fällt. Vom Theaterhimmel schwebt ein transparenter Kubus herab, der ein zentraler „Seelen“-Spielort des Tanzabends sein wird – kein Gefängnis, aber doch Hülle. Zur einsetzenden Requiem-Musik marschiert der Chor auf, bildet Impulsgeber und gleichzeitig einen voluminös tönenden Resonanzkörper für Tod und Mädchen, auch für freie, ausgelassene Ensemble-Tänze.
Zum Introitus-“Exaudi“ deutet das Tanzpaar eine Hebefigur an, zum „Kyrie“ liegt das Mädchen regungslos an der Bühnenrampe, als der Tod erscheint. Das „Dies irae“ wird von wilden Wirbeltänzen begleitet, die sich beruhigen, als Solobass und Posaune das „Tuba mirum“ anstimmen. Im Federkostüm imitiert ein Tänzer das eckige Auf und Ab einer Seele, die sich in einen Vogel verwandelt hat. Quirlige Paare trumpfen lustvoll tanzend auf. Später, beim „Lacrimosa“, produziert sich der Tod über einem Leichenfeld. Schlussendlich präsentiert sich das Mädchen gleichsam in einer Apotheose aufrecht stehend in der lichthellen Bühnenmitte. Alle anderen, auch der Tod, treten zum klangsatt interpretierten „Lux aeterna“ respektvoll ins Dunkle zurück. Immer wieder gelingen Markowitz und seinem Ausstatter Philipp Contag-Lada Schrittfolgen und Bilder, die in umwegloser Kürze und Konzentration seelische Vorgänge anschaulich machen. Dazu züngeln und schlängeln im rätselhaftten Würfel-Schemen die strahlenden Video-Einblenden.
Das Pforzheimer Mozart-Requiem ist ein Theater-Hybrid, der Synergie-Effekte freisetzt. Vielleicht gehört auch auf der Bühne edlen Mischwesen die Zukunft.