Foto: Friedrich Witte (Prof. Dr. Dr. Marius Wagner) © Susanne Reichardt
Text:Volker Oesterreich, am 22. Februar 2025
Auf der Suche nach Identität und einem Heimatgefühl befindet sich die Protagonistin in Thomas Deprycks „Unter euch“. Am Heidelberger Theater inszeniert Suzanne Emond das zweisprachige Stück auf Französisch und Deutsch und hinterlässt Unsicherheiten gegenüber der Umsetzung des Stoffs.
Die Kernaussage dieses Stücks wird im Zwinger 1 des Heidelberger Theaters gleich zu Beginn an den Bühnenhorizont projiziert: „Wer sich zwischen 2 Sprachen befindet, zwischen 2 Kulturen, befindet sich inmitten eines Ozeans“, steht da zu lesen. Darüber und darunter finden sich ähnliche Statements, die von der Bühnen- und Kostümbildnerin Lana Ramsey durch den blaugischtenden Bodenbelag und ein paar Wogen aus Pappe illustriert werden. Zwei kleine Bücherregale und ein Stuhl versinken in diesem Meer der mehrdeutigen Orientierungslosigkeit.
Ein stimmiges Bild, da das deutsch-französische Stück „Unter euch“ des belgischen Dramatikers Thomas Depryck mit der jungen Schriftstellerin und Mutter Manon eine Persönlichkeit in den Mittelpunkt rückt, die sich als französischsprachige Belgierin fremd im Nachbarland Deutschland fühlt. Ihr deutscher Partner Anton will ihr Halt und Liebe geben, aber so recht will das nicht klappen. Zuviel kracht in diesem hundertminütigen Clash der Kulturen aufeinander. Da ist die Sorge Manons um den eigenen Vater, der im Nebel seiner Demenzerkrankung versinkt; da ist die familiäre Überforderung mit zwei kleinen Kindern, die im Off als renitente Rabauken mit Ketchup herumschmieren; und da sind die vielen Gesten, Floskeln und Alltagsmomente, die in der einen Kultur so wirken, in der anderen aber ganz anders.
Wankendes Glück
Manon, gespielt von der quirligen Sophie Férard, will diesem Ozean der Emotionen entfliehen, muss dabei aber gegen ihre eigene seelische Bedrängnis ankämpfen. Die psychisch labile junge Frau sucht bei einem quacksalbadernden Mediziner nach ärztlichem Rat. Sie wünscht sich familiären Halt bei ihrer Verwandtschaft und partnerschaftliches Glück mit ihrem Anton. Doch alles wankt und droht zu versinken wie das spärliche Bühnenmobiliar.
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Friedrich Witte, Christian Crahay (Fernand), Nicole Averkamp, Sophie Frérard, Thorsten Hierse. Foto: Susanne Reichardt
Thomas Depryck – er war vor neun Jahren Gewinner des Europäischen Autorenpreises beim Heidelberger Stückemarkt – hat „Unter euch“ als Auftragswerk geschrieben; übersetzt wurde es von Frank Weigand, allerdings nur teilweise, damit die Zweisprachigkeit ganz unmittelbar wirken kann. Übertitel sind nicht nötig, der interkulturelle Schlagabtausch funktioniert bilingual bestens.
Verständigung und Verständnis
Suzanne Emond arbeitet in ihrer Inszenierung mit drei Heidelberger Ensemblemitgliedern: mit Thorsten Hierse (als Ehepartner Anton), Nicole Averkamp (als dessen Schwester Kristina) und Friedrich Witte (in der Rolle des mysteriösen Mediziners). Dieses Trio kreist um Sophie Frérard in der Hauptrolle der Manon und um den ebenfalls als Gast engagierten Christian Crahay als deren demenzkranken Vater. Beide spielen auf Französisch oder mit einem sympathischen französischen Akzent in radebrechendem Deutsch. Eigentlich ein recht simpler Inszenierungstrick, um Verständigungs- und Verständnisschwierigkeiten zu unterstreichen. Alles in allem handelt es sich mehr um ein Gedankenkonstrukt als um eine theaterwirksame Spielvorlage. Wohl deshalb stehen die Akteure auch in postmoderner Brechung neben sich, wenn sie feststellen: „Wir sind alle nur von einem belgischen Autor erfunden.“ Oder wenn verdutzt gefragt wird, „was machen wir auf einer Bühne?“ Statische Momente und zu Tableaus eingefrorene Gruppenbilder offenbaren dabei eine gewisse Ratlosigkeit im Umgang mit dem Stoff.
Identitätssuche und Kolonialschrecken
Verstärkt wird der Prozess der interkulturellen Identitätssuche durch die spezifische belgische Gemengelage mit ihren flämischen und wallonischen Besonderheiten, zu denen auch noch die Befindlichkeiten der deutschen Minderheit hinzukommen. Nicht zu vergessen die kolonialen Schrecknisse, für die das in einer Szene erwähnte Denkmal des einstigen belgischen Monarchen Leopold II. steht. All diese Facetten, Stimmungen und Sprachhürden belasten Manon. Nur im Reich der Literatur weiß sie als Autorin des Romans „Der Regen“, was sie will: nicht im Regen stehen.
Am Ende ergeben vier große, aufgeblasene Buchstaben-Ballons das Wort HEIM, auf dessen Mitte in kleineren roten Lettern die Silbe „weh“ geschrieben steht. Dieses Finale symbolisiert den gesamten Charakter des Stücks: viel heiße Luft um die letztlich doch banale Erkenntnis, dass Orientierung, menschliche Nähe und Heimatgefühl zwischen zwei oder mehreren Sprachen und Kulturen nur Wort für Wort und Schritt für Schritt erreicht werden können. Doch es lohnt sich, diesen Weg zu gehen.