Übersetztes Original
Mag sein, dass die Dringlichkeit dieser Bedrängnis einer Gefährdung von Demokratie dazu beigetragen hat, dass aus dem „Wintermärchen“ ein fulminanter, ein großer Theaterabend geworden ist. Aber ohne ästhetisches Gelingen keine politische Relevanz. Zunächst ist – leider – hervorzuheben, dass Sherman und der hebräische Shakespeare-Übersetzer Dori Parnes ihre Textfassung an der Übersetzung von Peter Handke orientieren. Und es ist bei all diesen an deutschsprachigen Theatern in Mode gekommenen Überschreibungen kanonischer Texte eine Wohltat, den großen Elisabethaner im (übersetzten) Original hören zu dürfen. Sherman, der sein Handwerk in den USA gelernt hat, mutet dem Publikum zudem die volle Länge des Stückes zu.
16 Jahre liegen zwischen beiden Teilen – und der Regisseur unterstreicht deren Disparatheit mit allen Mitteln. Seine Kostümbildnerin Polina Adamov hat sich in einen wahren Rausch hineingearbeitet: Böhmen liegt bei Shakespeare bekanntlich am Meer, während es in Sizilien winterlich starr zugeht. Am Hof des Leontes herrscht strenges Schwarz-Weiß, das auch von Roni Torens phantastischer Bühne aufgenommen wird. Hoch aufragende weiße Wände, in die mehrere Türen und sogar eine Treppe eingelassen sind, ziehen sich schneckenhausmäßig in eine abgrundtiefe Schwärze zu. In Böhmen sind die Clowns am Ruder: Der alte Schäfer, der das Findelkind Perdita gefunden hat, und sein Sohn tragen rote Nasen. Das Freiburger Heim- und Fluchtorchester, das auf einem Podest auf die Bühne gefahren wird, ist mit Clowns-Perücken und spitzen Hütchen ausgestattet. Der schlitzohrige Schurke Autolycus ist ein bunter Hund im Wortsinn. Sogar das zum Tanzbären gewandelte mörderische Untier hat seinen Platz in dieser lebensfrohen Gauklertruppe.
Großes Spiel
Sherman hat den Titel in dieser Hinsicht ernst genommen. In bester Musical- und Ausstattungstradition bietet er Sinneslust, ohne sein Konzept aus dem Auge zu verlieren. Und das ist konzentriert auf einen Mann, der 16 Jahre in einem Krankenbett für seine schrecklichen Taten büßen muss. Michael Witte ist dieser Leontes. Es hat den Anschein, als spiele er die Rolle seines Lebens. Und dies, obwohl der Schauspieler sich kurz vor der Premiere den Fuß gebrochen hat und mit einer Orthese über die Bühne humpelt. Oder vielleicht gerade deswegen: Ein an der Seele Verwundeter. In größter Einsamkeit bleibt ihm nichts anderes, als die von ihm durch grundlose Eifersucht verschuldete Auslöschung seiner Familie zu bereuen. Das passt nicht schlecht. Auch das um ihn gruppierte Ensemble ist allerbestens aufgelegt. Ein Happy End versagt sich die Regie aus gutem Grund. Statt der lebendig gewordenen Statue der Hermione hält Witte, den Mund zum stummen Schrei verzogen, nur einen Gipsarm in der Hand. Dem Mann kann nicht mehr geholfen werden.