Foto: © Marc Doradzillo
Text:Bettina Schulte, am 15. Dezember 2023
An der Freiburger Kammerbühne inszeniert Uwe Mengel ein Potpourri der 1950er Jahre. Die Zeit kannte nur eine Richtung: „Future 2000“. Ein in der Rückschau verlogener Optimismus.
Von den 1950er-Jahren aus gesehen hatte das Jahr 2000 eine utopische Aura. Dann werde das von Ludwig Erhard ausgegebene Ziel „Wohlstand für alle“ erreicht sein (BRD). Dann werde der Sozialismus in den Kommunismus übergegangen sein (DDR). Wir nachgeborene Zeitgenossen wissen, dass es ganz anders gekommen ist. Das dritte Jahrtausend war noch keine zwei Jahre alt, als der größte terroristische Angriff aller Zeiten die USA so erschütterte wie das Massaker der Hamas Israel 22 Jahre später. Ein Sieg des Fortschritts über die Schmerzen der Menschheit ist weniger denn je in Sicht – zumal der Fortschritt selbst die Menschheit immer mehr bedroht.
Zerstörung und Optimismus
Das konnte man in den 50ern noch nicht wissen. Uwe Mengels Performance „Future 2000“, uraufgeführt in der Kammerbühne des Freiburger Theaters, fokussiert sich auf den bedingungslos nach vorn gerichteten Optimismus. Ein Optimismus, der die Jahre nach Kriegsende in Deutschland erfasste – wider alle Zerstörungen, die der Nationalsozialismus angerichtet hatte.
Das Bühnenbild der Inszenierung wird hier durch eine alte Persilwerbung geschmückt. Foto: Marc Doradzillo
Mengel erlebte der die 50er-Jahre als Kind in der DDR, flüchtete nach anarchischen Theaterprojekten 1974 in den Westen und zog weiter nach New York, wo er von 1980 bis 1988 als Künstler lebte. Auf die Bühnenrückwand lässt Mängel Fotos im Riesenformat projizieren. Man sieht eine Seiltänzerin über eine komplett zerbombte Stadtlandschaft balancieren. Die Persil-Werbung. Eine ganze Serie von amerikanischen Straßenkreuzern. Davor agiert ein Schauspielertrio in hoffnungsgrünen Jacken, Hosen und Blusen (Thieß Brammer, Josefin Fischer, Marieke Kregel). Als Melodie dieser Stunde-Null-Mentalität darf Ivo Robics Lied „Morgen“ gelten: „Morgen, morgen lacht uns das Glück,/ Gestern, gestern liegt schon so weit zurück“.
Bedauern oder erschauern?
Aus heutiger Sicht ging es nicht verlogener. Auch die Freie Deutsche Jugend (FDJ) der Deutschen Demokratischen Republik hielt den Blick streng in Richtung Zukunft gewandt. Die antifaschistischen Mutmachlieder sind angesichts der weiteren Entwicklung des zweiten deutschen Staates fast zum Fremdschämen. Uwe Mengel mögen sie bis heute im Ohr klingen. Hat ihn die Nostalgie eines alten weißen Mannes zu den Bildern und Sounds seiner frühen Jahre getrieben? Oder sind die episodischen Szenen von „Future 2000“ satirisch gemeint?
Thieß Brammer in der Inszenierung „Future 2000“. Foto: Marc Doradzillo
Man wird nicht recht schlau aus diesem mit einer Stunde Laufzeit reichlich kurzen Abend. Sollen wir die gute alte Zeit bedauern, als junge Menschen den Rock’n-Roll entdeckten und in Tanzwut verfielen? Oder sollen wir erschauern ob so viel geschichtsvergessenem Fortschrittsoptimismus, der vor allem die Architektenzunft erfasste: historische Hausfassaden schleifen und nach Gera – wo Mengel aufwuchs – ziehen, weil man da alles neu machen kann? Dass der Regisseur jedwede Haltung zu dieser ersten Epoche der deutsch-deutschen Nachkriegszeit verweigert, lässt den über Strecken durchaus kurzweiligen Abend seltsam in der Luft hängen – buchstäblich: Am Ende bricht man ins All auf. Heute liegen da die Hoffnungen auf Elon Musk. Nun ja.