Schuld und Leiden liegen nah beieinander, die Gewalttäter spielen ein verzweifeltes Spiel aus Angst, Gier und toxischer Männlichkeit. Goetz interessieren die psychischen Wirkungen von Folter und Gewalt; Tilman Strauß ist etwa als zurückblickender Gefangener eine der zahlreichen glänzenden Hauptfiguren in einer Inszenierung, die den Text zum schillernden Bühnenleben bringt – was auch den anwesenden Autor zu heftigem Schlussbeifall veranlasste.
Karin Beier und dem Ensemble gelingen nach einer gewissen Anlaufzeit für Zuschauer und Akteure – auf der weitläufigen Bühne, die durch eine auf der Drehbühne liegenden rechteckigen Plattform mit Videoscreen (der ja nach Drehung vorne, hinten oder an einer Seite liegen kann) geprägt ist – große Bilder und beeindruckende Figurenskizzen. Dabei lassen sie ein Theater des Grauens entstehen, in dem nach der Pause ein beschwichtigender Chor der Schuldigen und Bilderkonsumenten an der Rampe lümmelt, der von zwei Clowns (Sebastian Bolmberg und Holger Stockhaus) gestört wird: Sie pinseln auf die Projektion eines Folteropfers lachende Sonne und das Wörtchen „fun“ und sorgen mit ihrem hysterischen Lachen für grausige Stille im Saal. Anja Laïs spielt eine in jeder Beziehung überforderte Brigadegeneralin und die ausschweifend verlorene Präsidentengattin, Daniel Hoevels den bürokratisch-karrieregierigen Foltervordenker Dr. Schill, Markus John den machtlosen Bremser Dr. Kelsen, Michael Weber den bedenkenlosen Justizminister Sebald, Burkhart Klaußner den gewissenlosen Kriegsminister Roon, Lars Rudolph den feigen Geheimdienstdirektor Thurgau. Auch Maximilian Scheidt pendelt zwischen Regierungsebene (als Selchs Privatsekretär) und Gefängnis-Hölle (als Folterknecht Braum). Sandra Gerling offenbart als Sicherheitsberaterin Anflüge von Gewissen, und hat als Todesengel am Ende einen starken Auftritt; Josefine Israel und Eva Bühnen zeigen als gnadenlose Soldatinnen und Zeuginnen große Präsenz im Spiel um innerlich tote Lebende und die Aufarbeitung unfasslichen Leids. Sebastian Blomberg ist die würdige Hauptfigur dieser Geisterbeschwörung und des theatralen Gerichtstags. Der verantwortliche Intrigant und Gewaltbereiter nutzt anfangs noch das infantile Gefährt Segway, sieht sich dann gezwungen, inmitten der störenden Särge gefallener Soldaten den Rollstuhl zu nutzen. Der Über-Täter sieht sich so überzeugend wie abstoßend als Opfer.
Ein Verdienst des überbordenden, ausschweifenden und dabei doch konzentrierten Großdramas und seiner Uraufführung ist die Gegenüberstellung von Opfern und Tätern, von zwei Sphären, die ineinander übergehen. Dieses Theater des Grauens hat damit und in der erträumten Gerichtsverhandlung geradezu ein utopisches Moment. Am Ende verbinden sich die Akteure mit den Musikern zu einem großen Oratorium des Leids (Musik: Jörg Gollasch). Goetz und Beier beschränken sich nicht auf Amerika, eher dient der amerikanische Alptraum als Beispiel für ein allzumenschliches Inferno. Und damit ist diese deutsch-amerikanische „Orestie“ des 21. Jahrhunderts gleichsam die wahre Tragödie vor den aktuellen Satyrspielen mit Trump, Putin und anderen Diktatoren des Bösen.