Sprachmaschinen
Den 75-minütigen, auf die Gretchentragödie fast gänzlich verzichtenden Abend beginnt Maschek klassisch mit der „Zuneigung“, spielt den Text aber nicht, sondern spricht ihn in statuarischer Haltung mit einer untergründig sonoren, hell-klaren Stimme ohne dynamische Variationen und große Nuancierungen für unterschiedliche Sprechhaltungen in den Dialogen. „Faust“ als manisch monotoner Frontalunterricht? Wer schon einmal eine Inszenierung des hier engagierten Felix Rothenhäusler gesehen hat, der weiß, an diesem Setting wird sich bis zum Schlussapplaus nichts ändern. Der Regisseur hat pro Inszenierung stets eine fixe Idee, die er brachial konsequent in eine theatrale Installation überführt, in der Sprechmaschinen endlos Worte aussenden, wobei die Vielschichtigkeit des Textes sowie fast alle Möglichkeiten vitalen Theaters ignoriert werden. Das ist Spielzeit für Spielzeit seit 2012 am Theater Bremen zu erleben.
Auch einen „Faust“ hat Rothenhäusler schon mit Maschek und sieben weiteren Kolleg:innen herausgebracht, 2014 war das. „Faust hoch zehn“ wurde die Arbeit betitelt. Sie konzentriert das Weltendrama auf eine Denkbewegung. Nie zufrieden, nicht verweilen können, stets neue Kicks in der nächsten Erfahrung suchend, so trippelte, hüpfte, sprang, stampfte das Ensemble immer neu auf das Publikum zu und wich wieder zurück, um dabei von Fantasiereisen zu immer neuen Grenzüberwindungen, also vom eigenen faustischen Drängen zu berichten. Unter Ausschluss von Goethes dramatischer Dichtung.
Bühnenbild und Lichtgestaltung
Die gibt es nun auszugsweise im prachtvollen O-Ton auswendig aufgesagt. Und ein bisschen passiert auch drumherum. Es gibt sogar einen richtig tollen Stilbruch. Nachdem Faust in bildungsübersättigter Einsamkeit den Selbstmord plante, holt ihn das Glockengeläut zum Ostersonntag zurück ins Leben, „Die Thräne quillt, die Erde hat mich wieder!“, da ergießt eine Konfettikanone ihren Inhalt auf die Bühne. Ohne irgendeine Beziehung zum stoischen Deklamationskünstler herzustellen, schleicht ansonsten gern mal der Musiker Jan Grosfeld in wechselnder Kostümierung über die Bühne, als Vogel, Bär, Ritter, Clown, Pferdefuß oder Fackelträger auf Kothurnen – wer mag, kann dabei an Mephistos Aussage über Faust denken: „Ihn sättigt keine Lust, ihm gnügt kein Glück, so buhlt er fort nach wechselnden Gestalten.“
Jan Grosfeld und Siegfried W. Maschek. Foto: Jörg Landsberg
Im Bühnenraum (Ausstattung: Katharina Pia Schütz) ist mehrmals Vogelgezwitscher zu hören, Scheinwerfer leuchten ab und an satt sonnengelb, mal regnet und nebelt es, mal rieselt Schnee, mal ist es grellhell, mal stockdunkel und eine Mondsichel wird hereingefahren. Frühling, Sommer, Herbst und Winter, Tag und Nacht, die Zeit vergeht, während Faust unbeirrt weiterirrt. Bis in den unausweichlichen Tod. Aus „Faust 2“ kommt dann Mephisto zu Wort, der das „Ewig-Leere“ gegen das „ew’ge Schaffen“ im Leerlauf ausspielt. Maschek verkündet das Ende des Protagonisten, keine Gnade, keine Erlösung, keine Läuterung, nur: „Vorbei und reines Nicht, vollkommnes Einerlei!“ Abgang des Schauspielers.
Irritierende Zurückhaltung
Mascheks Vortrag fließt geschmeidig dahin, lässt zur Ruhe, zum Text kommen, feiert so den Formulierungszauber und Gedankenreichtum – vielleicht als Trotz gegen eine Bildungspolitik, die „Faust“ als Schulstoff für überflüssig hält. Zum Verständnis aber wäre es hilfreicher gewesen, den Text nicht nur abzuliefern, sondern ihn sprachlich zu verlebendigen und spielerisch in Bilder zu übersetzen, was Maschek an dem Stoff interessiert. Seine darstellerische Zurückhaltung irritiert umso mehr, da er als stets sympathisierender, tiefenscharf-empathischer Durchdringer seiner Rollen zu einem Publikumsliebling in Bremen geworden ist. Sein Abschieds-„Faust“ ist eine hübsche, eher anstrengende Kunstübung.